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Personalmangel in Notaufnahmen "Es war nur ein Arzt da"

In Hamburg mussten kürzlich Notaufnahmen großer Krankenhäuser schließen, weil es nicht genug Ärzte und Pfleger gab. Eine Ausnahme? Nein, sagt Notfallärztin Christine Löber und schildert ihren Alltag.
Pfleger (Symbolbild)

Pfleger (Symbolbild)

Foto: Daniel Bockwoldt/ picture alliance / Daniel Bockwo

Es ist eine Horrorvorstellung: Man liegt schwerverletzt im Krankenwagen, doch das nächste Krankenhaus kann nicht angefahren werden. Tatsächlich kommt es deutschlandweit immer wieder vor, dass sich Notaufnahmen bei der Feuerwehr für Rettungswagen abmelden, weil bereits zu viele Patienten vor Ort sind und die Kapazitäten nicht reichen.

Allein in Hamburg waren im vergangenen Halbjahr für 1100 Stunden Notaufnahmen gesperrt, berichtet das "Hamburger Abendblatt". Auch die Asklepios Klinik St. Georg musste kürzlich ihre internistische Notaufnahme für sechs Stunden für Krankenwagen schließen - weil schlichtweg zu wenig Personal anwesend war.

"Statt wie gewohnt zwei Medizinern stand im Spätdienst kurzfristig nur ein Mediziner mit entsprechender Fachausrichtung zur Verfügung. Wäre dieser Arzt über einen längeren Zeitraum mit einem schweren Notfall beschäftigt, hätte es keinen Back-up gegeben", sagt Pressesprecher Mathias Eberenz.

Wenige Tage später zog die Asklepios Klinik in Wandsbek nach und meldete sich mehrere Tage in Folge für Rettungswagen ab. Hier herrschte ein akuter Mangel an Pflegekräften: Mehr als ein Dutzend hatten sich krank gemeldet. "Um die Sicherheit der Patienten zu gewährleisten, waren die Sperrungen in der Asklepios Klinik Wandsbek alternativlos", so Eberenz.

Auch ein kurzfristiger Ausgleich sei nicht möglich gewesen, "weil die anfallenden Tätigkeiten außerordentlich anspruchsvoll sind, wie zum Beispiel die Schockraumversorgung, oder Kenntnisse der Beatmung erfordern". Mitarbeiter anderer Abteilungen bekamen Prämienzahlungen angeboten, um wenigstens einige Stellen in der Notaufnahme zeitweise decken zu können.

Laut Eberenz leiden insbesondere Notaufnahmen und Intensivstationen in Deutschland unter starkem Fachkräftemangel: "Grundsätzlich gestaltet es sich auch zunehmend schwieriger, freie Stellen nachzubesetzen."

Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) spricht hingegen von einer "Ausnahmesituation" in Hamburg. Das ärgert manche Mitarbeiter. Denn die Ausnahme scheint für sie mittlerweile Alltag . Ein Anruf bei einer Ärztin, die ihre Sorgen auf Facebook öffentlich machte.

Zur Person
Foto: Mathias Freytag

HNO-Ärztin Christine Löber studierte Medizin in Lübeck und arbeitet seit 13 Jahren in der Asklepios Klinik St. Georg. Sie kennt den Alltag in der Notaufnahme und sagt: "In den letzten Monaten ist viel schiefgelaufen." Sie fordert Handlungsbereitschaft von der Politik und eine größere Aufklärung, wie es in den Kliniken täglich wirklich aussieht.

SPIEGEL ONLINE: Was war los in der Asklepios Notaufnahme St. Georg?

Christine Löber: Es ist nicht ungewöhnlich, eine Notaufnahme für kurze Zeit sperren zu lassen. Das kann passieren, wenn es einen zu hohen Andrang an Patienten gibt. Bei uns war es jedoch nicht normal. Es fehlte das ärztliche Personal. Es hätten zwei Ärzte vor Ort sein müssen. Aber es war nur einer da. Und das war nicht das erste Mal. Seit einem Vierteljahr stehen wir personell mehr als knapp da. Und müssen zudem immer mehr weitere Aufgaben übernehmen, wie Schreibarbeit und Abordnungen in fremde Bereiche.

SPIEGEL ONLINE: Was sind die Folgen?

Löber: Wir arbeiten aufgrund des Ökonomisierungsdrucks nicht mehr menschenorientiert. Das bedeutet: Es gibt oft nicht genügend Zeit für die Patienten, Fragen zu stellen und Probleme zu besprechen. Die Patienten fühlen sich daher alleingelassen und verängstigt, nicht ausreichend informiert und nicht aufgehoben. Wenn das Personal knapp ist, müssen sie länger liegen. Wenn es kein Fachpersonal gibt, können notwendige Untersuchungen nicht schnell gemacht werden. Auch in Notaufnahmen verlängern sich die Wartezeiten oft auf mehrere Stunden.

Hinzu kommt: Die Pflegekräfte arbeiten am absoluten Limit. Ich kenne viele Ärzte und Pfleger, die den Stress nicht aushalten und kündigen. Andere können es mit ihrem Gewissen nicht vereinbaren, so zu arbeiten und gehen deshalb. Wir können unseren Beruf nicht so ausüben, wie wir ihn ausüben müssten - es ist ein Teufelskreis für die, die noch da sind. Denn die zunehmende Personalnot verstärkt ihre Not. Die Innere Medizin ist da ganz weit vorne, gefolgt von der Kardiologie und der Chirurgie.

SPIEGEL ONLINE: Wie reagieren Sie auf die Situation?

Löber: Ich kann mir nicht vorstellen, alles einfach hinzuschmeißen. Dafür liebe ich meinen Beruf zu sehr. Die Patienten motivieren mich jeden Tag. Ich will wieder eine Brücke zu ihnen schlagen und zeigen, dass Arzt und Patient eine Einheit sein und nicht gegeneinander stehen sollten. Alle, die wir hier arbeiten, haben den Wunsch, uns länger mit einem Patienten zu unterhalten, uns Problemen intensiver zu widmen und keine Massenabfertigung zu machen. Es muss wieder ein richtiges Vertrauensverhältnis entstehen.

SPIEGEL ONLINE: Was müsste sich dafür ändern?

Löber: Wir brauchen mehr Personal und eine bessere Aufklärung über die aktuelle Situation. Menschen müssen viel lauter aufschreien gegen das, was hier gerade passiert. Wenn sich nicht bald etwas ändert, werden Vorfälle wie in der letzten Woche noch einmal passieren. Das ist schon seit Monaten keine Ausnahmesituation mehr.

Video: Lebensretter am Limit - Not in der Notaufnahme

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