Schneller, billiger, in größeren Mengen verfügbar – Antigen-Schnelltests sollen die üblichen PCR-Tests entscheidend ergänzen: Innerhalb von 15 Minuten stellen sie fest, ob sich der Getestete mit Covid-19 infiziert hat oder nicht. Eingesetzt werden soll der neue Abstrich vor allem in Alten- und Pflegeeinrichtungen sowie Krankenhäusern. Peter Künstler, 47, ist Geschäftsführer und Hausleiter in den katholischen Altenwohnhäusern St. Anna und St. Sixtus in Haltern am See (Nordrhein-Westfalen). Er berichtet von den Schwierigkeiten der neuen Teststrategie.
WELT: Herr Künstler, die Antigen-Schnelltests für Alten- und Pflegeheime gelten dem Bundesgesundheitsministerium zufolge als große Hoffnung für den Herbst. Sind Sie ebenfalls so optimistisch?
Peter Künstler: Ich bin weniger euphorisch. Schnelltests sind zwar grundsätzlich eine gute Sache, zumal wir keinen unserer Mitarbeiter oder Bewohner seit Beginn der Pandemie mit den üblichen PCR-Tests testen konnten …
WELT: Moment mal: Sie führen keine präventiven Reihentests durch?
Künstler: Nein. Unser Gesundheitsamt hat dafür keine Zeit. Deren Mitarbeiter haben uns Mitte Oktober eine Mail geschrieben, dass die Inzidenz im Kreis Recklinghausen zwar bei über 50 pro 100.000 Einwohner liegt – mittlerweile bei 145! – und deswegen rechtlich gesehen eigentlich alle Bewohner und Beschäftigten getestet werden müssten.
Allerdings ist diese Vorgabe der Landesregierung nicht umzusetzen, sagt das Gesundheitsamt, da es an Testkapazitäten fehle. Ich kann das auch niemandem zum Vorwurf machen. Es ist einfach nicht zu schaffen.
WELT: Welche Folgen hat das für Ihre Einrichtungen?
Künstler: Bisher haben wir keinen Corona-Fall gehabt. Die Mitarbeiter halten sich vorbildlich an die Hygieneregeln. Wir messen jeden Tag bei allen Beschäftigen und Bewohnern Fieber, desinfizieren alles. Aber diese Maßnahmen allein werden das Virus nicht draußen gehalten haben. Wir haben einfach pures Glück gehabt.
Bei den begrenzten Laborkapazitäten kommt hinzu, dass bei uns kein Bewohner ohne ein negatives Testergebnis einziehen darf, das nicht älter als 48 Stunden ist. Viele bekommen ihr Ergebnis aber gar nicht innerhalb von 48 Stunden; zum Teil dauert es bis zu zehn Tage oder länger.
WELT: Und dann?
Künstler: Dann kann die Person nicht mehr einziehen. Wir wissen ja nicht, wen sie in diesen zehn Tagen getroffen hat oder wer aus der Familie sie noch zum Abschied zu Hause besucht hat. Da potenziert sich die Gefahr einer Infektion. Das ist eine Verantwortung, die wir nicht übernehmen können.
WELT: Helfen könnten die angesprochenen Schnelltests. Wann bekommen Sie die erste Lieferung?
Künstler: Das wissen wir noch nicht. Wir entwickeln gerade ein Testkonzept, das wir beim Gesundheitsamt einreichen müssen. Wenn wir nach zwei Wochen keine Rückmeldung bekommen, ist das Konzept genehmigt, heißt es.
WELT: Was steht dort drin?
Künstler: In welcher Menge wir die Bewohner, Mitarbeiter und Besucher testen wollen. Einmal oder zweimal die Woche? Oder vielleicht nur alle zwei Wochen? Im Ergebnis kommen wir dann auf die Summe von Tests, die wir beim Hersteller bestellen werden.
Im Moment geht es dabei allerdings weniger um die Frage, wie viele Tests wir brauchen, sondern darum, wie viele wir in der Lage sind durchzuführen. Das diskutieren wir gerade im Leitungsteam.
WELT: Wie meinen Sie das?
Künstler: Fakt ist: Wir haben gar nicht das Personal zum Testen. Wir haben in den beiden Einrichtungen insgesamt 200 Mitarbeiter, 152 Bewohner und pro Woche schätzungsweise um die 250 unterschiedliche Besucher. Wer soll das alles koordinieren und jede Woche Tests durchführen? Die Abstriche darf schließlich nur medizinisches Fachpersonal mit dreijähriger Ausbildung machen. Wir fühlen uns bei dieser Frage völlig alleingelassen.
WELT: Ein Abstrich dauert nicht so lange.
Künstler: Ja, aber die Pflegefachkraft muss erst einmal die komplette Schutzkleidung anlegen. Also FFP2-Maske, Handschuhe, Schutzkittel anziehen, danach wieder ausziehen und alles desinfizieren. Das sind pro Test vielleicht fünf Minuten reine Arbeitszeit.
Die Fachkraft muss dafür aber die Arbeit unterbrechen, die sie gerade macht – wenn für die Tests niemand extra abgestellt wurde. Andere Bewohner müssen in der Zeit auf ihre Leistung warten, für die sie bezahlen und Fürsorgepflicht erwarten. Das fällt schon ins Gewicht, wenn in einem Bereich mit fünf Mitarbeitern plötzlich eine Person fehlt.
Nach Ablauf der Wartezeit muss die Fachkraft dann wieder zurück, das Testergebnis auswerten und die Person informieren. Hinzu kommt die ausführliche Dokumentation. Das ist sehr aufwendig. Außenstehende denken immer: Mein Gott, da ist doch schon eine Mitarbeiterin, dann kann sie doch mal eben einen Abstrich machen. Aber die Schnelltests sind so nicht umsetzbar.
WELT: Was würden Sie sich wünschen? Soll Ihnen externes Personal gestellt werden?
Künstler: Ausreichend externes Personal ist gar nicht verfügbar. Die Leiharbeitsfirmen sind schon gut ausgebucht, weil es zu der Jahreszeit vermehrt zu Erkrankungen kommt und sie überall einspringen. Aber ja, wenn ich einen Wunsch frei hätte, dann wäre es, dass wir dauerhaft eine neue Pflegefachkraft im Haus hätten, die die Tests durchführt. Aber das wird es nicht geben.
WELT: Was ist dann Ihr Plan B?
Künstler: Wir schreiben in unser Konzept, dass wir die Mitarbeiter und Bewohner einmal die Woche testen wollen. Bei den Angehörigen überlegen wir, es weiter wie bisher zu handhaben: Wir kontrollieren am Eingang Fieber, machen ein kurzes Screening auf Erkältungssymptome, und wenn alles passt, dann dürfen die Besucher auch ohne Test rein. Die Angehörigen sagen uns auch immer wieder: Wissen Sie, wenn ich Symptome hätte, dann würde ich gar nicht zu meiner Mutter oder meinem Vater kommen. Da verlassen wir uns also auch ein Stück weit drauf.
Allerdings rechnen wir auch damit, dass einige Angehörige die Testverordnung zitieren werden und sagen: Wissen Sie, ich habe einen rechtlichen Anspruch auf einen Test, machen Sie mal. Daher würden wir uns wünschen, dass die Einrichtungen von einer Testpflicht befreit und die Schnelltests nur empfohlen werden. Auch, weil wir ansonsten rechtlich haftbar gemacht werden könnten.
Stellen Sie sich vor, es wird einmal nicht getestet, weil Mitarbeiter kurzfristig ausfallen oder etwas durchrutscht, und dann gibt es in der Einrichtung einen Infektionsausbruch. Wir sind es dann, die dafür zur Rechenschaft gezogen werden.
WELT: Die Politik möchte mit der Vorschrift sichergehen, dass die Schnelltests tatsächlich zur Anwendung kommen – um etwa eine emotional schwierige Isolation der Bewohner zu vermeiden.
Künstler: Damit hat die Politik ja auch recht. Die Bewohner und Angehörigen haben sehr unter den Besuchsverboten gelitten. In NRW können mittlerweile täglich zweimal zwei Besucher empfangen werden, auch auf dem Bewohnerzimmer. Die gelöste Stimmung und das Gemeinschaftsleben sind aber trotzdem weiter eingeschränkt. Deswegen sind die Tests natürlich eine ganz tolle Sache. Trotzdem bleibe ich dabei, dass sie in der Form nicht umsetzbar sind.