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Deutschland Corona an Schulen

„Da können Lehrer zu Superspreadern werden“

Politikredakteurin
Kinderärzteverband will Maskenpflicht für Lehrer im Unterricht

Der Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte, Thomas Fischbach, hat sich für eine Maskenpflicht für Lehrer auch im Klassenzimmer ausgesprochen. Lehrer könnten sonst schnell zu Superspreadern werden.

Quelle: WELT

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Der Präsident des Kinder- und Jugendärzteverbands fordert eine Maskenpflicht für Lehrer. Für den Herbst hat Thomas Fischbach düstere Prognosen: Dann könnten die Praxen die Corona-Vorgaben des Robert-Koch-Instituts nicht mehr erfüllen.

WELT: Herr Fischbach, an vielen Schulen ist der Unterricht wieder losgegangen – trotz steigender Infektionszahlen. Funktioniert der Schulbetrieb unter Pandemiebedingungen aus Ihrer Sicht?

Thomas Fischbach: Grundsätzlich schon. Die meisten Lehrer geben sich redlich Mühe, die Hygienekonzepte neben dem Unterricht umzusetzen. Wie gut das klappt, hängt natürlich sehr von den einzelnen Regeln in den Bundesländern und den baulichen und personellen Gegebenheiten vor Ort ab. In Nordrhein-Westfalen hat die Schulleitungsvereinigung vor Kurzem einen bitterbösen Brief an das Schulministerium geschrieben, in dem sie Unzulänglichkeiten in den Gebäuden kritisiert – fehlende Möglichkeiten zum Lüften zum Beispiel, weil die Fenster nicht geöffnet werden können. Da rächt sich, dass das System über Jahre kaputt gespart wurde.

WELT: Manche Lehrer und auch Eltern halten die weitgehenden Schulöffnungen für ein waghalsiges Experiment.

Thomas Fischbach ist Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte und leitet eine Arztpraxis in Nordrhein-Westfalen
Thomas Fischbach ist Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte und leitet eine Arztpraxis in Nordrhein-Westfalen
Quelle: Frank Schoepgens FOTOGRAFIE

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Fischbach: Mir wird das Gegenteil berichtet. Viele Kinder und Jugendliche aus meiner Praxis sind froh, dass sie endlich wieder zur Schule gehen können. Auch die Eltern sind erleichtert, weil sie ihre Arbeit aufnehmen können. Es war richtig, die Schulöffnungen an die oberste Stelle zu setzen. Alles andere wäre für die Schüler eine Katastrophe gewesen.

Schon jetzt sind große Bildungsverluste zu beklagen, weil die Schulen praktisch seit März nicht mehr funktionierten. Auf der anderen Seite muss man natürlich schauen, ob die getroffenen Schutzmaßnahmen jeweils angemessen sind.

WELT: Sie haben vor Kurzem mit mehreren Fachgesellschaften eine Stellungnahme veröffentlicht, in der Sie für ein differenziertes Vorgehen an den Schulen plädieren. Soll künftig jede Schule selbst bestimmen, welche Infektionsschutzmaßnahmen sie für richtig hält?

Fischbach: Nein, wir plädieren für bundesweit möglichst einheitliche Vorgaben, die aber das Infektionsgeschehen vor Ort und auch das Alter der Kinder berücksichtigen. Eine pauschale Maskenpflicht für Schüler im Unterricht wie in NRW halten wir zum Beispiel nicht für sinnvoll. Wenn ich in einer Stadt wie meiner Heimatstadt Solingen mit 163.000 Einwohnern 39 aktuelle Corona-Fälle habe, dann bin ich der Auffassung, dass das nicht verhältnismäßig ist, von allen Schülerinnen und Schülern eine Maskenpflicht im Unterricht zu verlangen. Anders sieht das aus, wenn wir einen Hotspot haben. Da kann es im Einzelfall sinnvoll sein, vorübergehend eine Maskenpflicht zu verhängen.

WELT: Was ist das Problem mit einer generellen Maskenpflicht für Schüler?

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Fischbach: Sie funktioniert bei sehr jungen Schülern einfach nicht. Sie spielen dauernd daran herum, stecken sie in die Hosentasche und holen sie wieder raus. Ich habe Schüler beobachtet, die ihre Masken auf dem Schulhof austauschen. Dadurch wird sicherlich kein guter Schutz erreicht.

WELT: Manche Eltern befürchten auch gesundheitliche Nachteile durch das Maskentragen. Ist da etwas dran?

Fischbach: Gesundheitliche Schäden durch das Maskentragen sind sicherlich eher die Ausnahme. Das mag zutreffen bei ganz bestimmten Erkrankungen, bei denen die Lunge bereits geschädigt ist. Es geht mehr um Befindlichkeiten. Zu mir kommen Kinder in die Praxis, die über Kopfschmerzen klagen, weil sie den ganzen Tag Maske tragen. Andere berichten, dass sie sich nicht mehr konzentrieren könnten. Für uns bedeutet das einen erheblichen Mehraufwand. Die Schulen erwarten ein Attest, wenn sich jemand von der Maskenpflicht befreien lassen möchte.

WELT: Wenn die generelle Maskenpflicht für Schüler fallen soll – was kann getan werden, um Schüler und Lehrer vor einer Ansteckung an den Schulen zu schützen?

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Fischbach: Zum einen müssen die Betroffenen wirklich achtsam auf Symptome sein, die mit der Covid-Erkrankung einhergehen können und sich dann sehr schnell und frühzeitig testen lassen. Es ist ja auffällig, dass es bei den letzten Ausbrüchen an Schulen immer Lehrer waren, die das Virus von außen hereingetragen hatten. Zum anderen halten wir eine Maskenpflicht für das Lehrpersonal durchaus für sinnvoll.

Bislang gibt es vielerorts für Lehrer nur eine Empfehlung, eine Maske zu tragen, wenn der Sicherheitsabstand nicht eingehalten werden kann. Das ist in Grundschulen ohnehin nie möglich, in weiterführenden Schulen bei den beengten Räumlichkeiten meist auch nicht. Wenn Sie im Frontalunterricht vor der Klasse stehen, haben Sie aber eine ähnliche Situation wie im Chor. Da können Lehrer zu Superspreadern werden.

WELT: Lehrer argumentieren, dass ein sinnvoller Unterricht nicht möglich ist, wenn sie eine Maske tragen. Ihre Mimik sei dann nicht mehr erkennbar. Warum sollen sie im Unterricht eine Maske tragen, Schüler aber nicht?

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Fischbach: Ich kann das verstehen. Ähnliche Erfahrungen mache ich in meiner Praxis. Wir müssen auch den ganzen Tag Maske tragen und haben manchmal Schwierigkeiten, wenn wir mit Patienten kommunizieren. Ich plädiere aber auch hier für Verhältnismäßigkeit: Wir wissen, dass Infektionen in der Regel vom Lehrpersonal oder von Erziehern ausgehen. Es ist deswegen sinnvoll, diese Personengruppe auch zum Maskentragen zu verpflichten.

WELT: Bislang finden viele Schulaktivitäten noch im Freien statt, weil das Ansteckungsrisiko dort geringer ist – zum Beispiel Sport. Erwarten Sie einen Anstieg des Infektionsgeschehens, wenn im Herbst wieder alle Schüler drinnen sitzen?

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Der Schulleiter einer Grundschule in Brandenburg wurde suspendiert, weil er die Maskenpflicht nicht einführen wollte. Nun kam es vor der Schule zu spontanen Protesten und Solidaritätsbekundungen.

Quelle: WELT/ Jana Wochnik und Julian Stähle

Fischbach: Das Infektionsgeschehen wird auf jeden Fall zunehmen – und uns in Zusammenhang mit der Grippewelle vor große Herausforderungen stellen. Schon jetzt kommen dauernd Eltern zu mir, die eine Erkrankung ihrer Kinder mit Covid-19 fürchten. Ich habe seit Mai in meiner Praxis rund 1000 Abstriche durchgeführt, davon waren nur zwei positiv. Wenn die normalen Infekte im Winter zunehmen, kommen wir an unsere Kapazitätsgrenzen.

Ich habe dazu auch schon mit dem Robert-Koch-Institut (RKI) telefoniert. Bislang empfiehlt das RKI ja die Testung aller Personen, selbst wenn sie nur milde Symptome eines oberen Lungenweginfekts zeigen. Das können wir Ärzte aber gar nicht leisten.

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