Die Corona-Lage an deutschen Kliniken spitzt sich zu, da immer mehr Mitarbeiter wegen Coronainfektionen ausfallen. Zahlreiche Intensivstationen müssen bereits den Betrieb einschränken. Jochen A. Werner, Vorstandschef des Universitätsklinikums Essen, einem der bundesweit größten Corona-Zentren, erklärt im Interview mit WELT, welche Einschränkungen es aufgrund der Mitarbeiterausfälle gibt – und welche aufgrund des anhaltenden Streiks.
WELT: Die Corona-Fallzahlen in Deutschland steigen wieder. Zuletzt warnte die Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin wegen der Krankenstände vieler Mitarbeiter vor einer Überlastung der Intensivstation. Wie ist die Situation am Universitätsklinikum Essen?
Jochen A. Werner: Auch die Universitätsmedizin Essen hat in den letzten Wochen eine steigende Anzahl von positiv auf SARS-CoV-2 getesteten Patienten verzeichnet. Allerdings ist die Anzahl der Covid-Patienten in den letzten Tagen innerhalb einer gewissen Schwankungsbreite stabil. Aktuell versorgen wir insgesamt 61 positiv auf SARS-CoV-2 getestete Patienten, davon 53 auf Normalstationen sowie acht auf Intensivstationen.
WELT: Verzeichnet die Uniklinik Essen derzeit hohe Ausfälle beim Personal?
Werner: Ja, die Personalsituation an der Universitätsmedizin Essen ist derzeit angespannt. Das liegt einerseits an dem coronabedingten Personalausfall. Derzeit sind rund Hundert unserer Mitarbeiter in häuslicher Quarantäne. Von diesen coronabedingten Personalausfällen sind sämtliche Standorte und auch sämtliche Funktionsbereiche betroffen. Besonders belastet sind die Notaufnahme sowie die Klinik für Infektiologie und die Intensivstationen – dies liegt aber auch an den zusätzlichen Personalausfällen durch den Streik an den Universitätskliniken in Nordrhein-Westfalen, der mittlerweile in die elfte Woche geht. Zwischen 100 und 150 Beschäftigte befinden sich am Universitätsklinikum Essen derzeit im Streik.
WELT: Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, die den Streik in NRW organisiert, fordert eine Entlastung der Krankenhausmitarbeiter per Tarifvertrag. Ist ein Kompromiss und damit ein Ende des Streiks absehbar?
Werner: Wir unterstützen prinzipiell die Forderung der Gewerkschaft nach einer Entlastung der Beschäftigten, insbesondere in der Pflege. In einer Reihe von Punkten gibt es Annäherungen. Wir hoffen, dass der Streik in absehbarer Zeit beendet wird.
WELT: Rechnen Sie mit einer weiteren Zunahme der Corona-Fälle?
Werner: Wir rechnen mit einer weiteren Zunahme von Corona-Patienten, wahrscheinlich schon in den nächsten Wochen, im Herbst mit hoher Sicherheit. Nach zweieinhalb Jahren Erfahrung im Management der Pandemie sind wir als eines der größten Covid-19-Zentren in Deutschland auf diese Situation trotz der vorhersehbaren Belastungen gut vorbereitet. Wir haben dazu ein flexibles System mit Personalausfallkonzepten und Eskalationsstufen entwickelt, das bei Bedarf nachjustiert werden kann.
WELT: Müssen bei steigenden Corona-Fällen andere Leistungen in Ihrem Krankenhaus heruntergefahren werden?
Werner: Unser dezidiertes Ziel ist es, die Behandlung und das OP-Programm bei Non-Covid-Patienten, die die übergroße Zahl der Patienten bilden, möglichst umfangreich durchführen zu können. Durch die begrenzten personellen Ressourcen wird sich die Situation aber selbstverständlich verschärfen – und damit auch die Belastung für unsere Beschäftigten. Ich kann deshalb nicht ausschließen, dass wir Leistungen einschränken müssen, etwa indem wir Eingriffe verschieben werden müssen. Auch deshalb trifft uns der Streik so hart.
WELT: Welche Unterstützung fordern Sie von der Politik, um mit Corona-Wellen besser umgehen zu können?
Werner: Die beste Voraussetzung, um besser mit der aktuellen und der künftigen Covid-Situation umgehen zu können, wäre eine dezidierte Datengrundlage. Dadurch könnten Politik und Medizin passgenaue Entscheidungen und Maßnahmen ohne Kollateralschäden treffen. Nicht erst seit dem am 1. Juli vorgelegten Gutachten des Sachverständigenrates zur Wirksamkeit und Angemessenheit der bisherigen Corona-Maßnahmen steht für mich allerdings fest: Wir werden auf absehbare Zeit aufgrund der eklatanten und andauernden digitalen Defizite – vom fehlenden Impfregister bis hin zu einer absolut ungenügenden Datenlage – weiterhin aufgrund von Annahmen und vor allem von Erfahrungswerten agieren müssen. Was es aber bräuchte, wäre eine gesicherte wissenschaftliche Basis. Vor diesem Hintergrund wünsche ich mir, dass es zumindest eine stringente und glaubwürdige Strategie der Politik im Umgang mit Corona gibt. Die aktuelle Diskussion, ich denke etwa an eine mögliche Maskenpflicht oder erneute Eingriffe in den Schulunterricht, lassen mich aber zweifeln, ob es eine klare Linie geben wird.
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