Mülheim. Die Finanzierung der Klinikreform darf nicht allein durch gesetzlich Versicherte erfolgen, mahnt die Vertreterin der Techniker Krankenkasse.

Der von der Bundesregierung geplante Umbau der Krankenhauslandschaft sollte nicht allein aus Mitteln der gesetzlichen Krankenversicherung finanziert werden. Das forderte Barbara Steffens, Leiterin der NRW-Landesvertretung der Techniker Krankenkasse und ehemalige, grüne NRW-Gesundheitsministerin (2010-2017).

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) verspreche immer Geld vom Bund, es handle sich jedoch um Mittel des Gesundheitsfonds, in den allein die gesetzlich Versicherten und ihre Arbeitgeber einzahlten. Die Neuausrichtung der Kliniklandschaft in Deutschland müsse auch von den Privatversicherten und womöglich aus Steuermitteln mitfinanziert werden, sagte Steffens in Mülheim.

Hintergrund ist der geplante große Umbau der Kliniklandschaft in NRW. Rund ein Drittel der Krankenhausstandorte werde und müsse wegfallen, so Boris Augurzky, Professor für Gesundheitsökonomie an der Uni Duisburg-Essen und führender Gesundheitsexperte am Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschungs RWI.

Boris Augurzky, berät unter anderem Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) in Sachen Klinikreform.
Boris Augurzky, berät unter anderem Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) in Sachen Klinikreform. © NRW Desk | Sven Lorenz, Essen

Augurzky, der als Mitglied der „Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung“ das Gesundheitsministerium berät, macht deutlich, dass der Mangel an Geld und Personal eine Neugestaltung der Kliniklandschaft dringend erforderlich macht.

„Effizienz im Gesundheitswesen ist ethisch geboten. Sie vermeidet und vermindert Rationierung“, so Augurzky auf einer Podiumsveranstaltung des Rates für Gesundheit und Medizinethik des Bistums Essen. Derzeit bangen beispielsweise zwei Kliniken in Duisburg um ihre Existenz.

NRW als Vorbild bei der Reform

Nordrhein-Westfalen, da waren sich die Diskutanten einig, ist mit seiner Klinikreform auf Landesebene da bereits auf einem guten Weg. „Der Strukturwandel, so wie er in NRW läuft, ist extrem sinnvoll“, so Steffens. Sie wünsche sich, dass die Reform des Bundes dies ergänze und verstärke.

Denn in NRW hätten alle Akteure unter Leitung von Landesgesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) an einem Tisch gesessen. Das sei im Bund unter Karl Lauterbach (SPD) leider anders gewesen. „Ich würde mir wünschen, dass wir die NRW-Planung zu Ende bringen können und dass das kompatibel ist mit dem, was da vom Bund kommt.“

Dirk Heidenblut, SPD-Bundestagsabgeordneter aus dem Essener Norden, weiß, was Klinikschließungen vor Ort für die Menschen bedeuten.
Dirk Heidenblut, SPD-Bundestagsabgeordneter aus dem Essener Norden, weiß, was Klinikschließungen vor Ort für die Menschen bedeuten. © Brilon

Dirk Heidenblut, Essener SPD-Bundestagsabgeordneter, mahnte an: „Es darf nicht dem Zufall oder dem Versagen eines Trägers überlassen sein, welche Häuser verschwinden.“ Barbara Steffens ergänzte, dass vor allem die Kliniken in ärmeren Stadtteilen oft defizitär seien. Würden diese dann geschlossen, fühlten sich die Menschen dort abgehängt.

In Essen hatte 2020 der katholische Krankenhausträger Contilia abrupt zwei von drei Standorten im Essener Norden geschlossen und damit für heftige Diskussionen gesorgt, die bis heute nicht verstummt sind. Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck mahnte daher: „Die sozial schwächeren Bevölkerungsgruppen sind nicht mobil oder wollen nicht so mobil sein. Wir brauchen aber auch Versorgungssicherheit für diese Schichten.“

Versorgungssicherheit auch für die Schwächeren

Er hoffe, dass es trotz der unterschiedlichen Strukturen mehr Zusammenarbeit zwischen Häusern verschiedener Konfessionen gebe. „Ich will nicht katholisch oder evangelisch operiert werden, ich will professionell operiert werden“, so der Ruhrbischof.

Es sterben zuerst die Kliniken in sozial schwächeren Stadtteilen. So gab es 2020 vehemente Proteste im Essener Norden.
Es sterben zuerst die Kliniken in sozial schwächeren Stadtteilen. So gab es 2020 vehemente Proteste im Essener Norden. © NRZ | Wolfgang Kintscher

Immerhin, das räumte auch der Essener SPD-Bundestagsabgeordnete Dirk Heidenblut ein, streite man sich nicht mehr über das „ob“ einer großen Klinikreform, sondern nur noch über das „wie“ der Umsetzung.

Boris Augurzky machte noch einmal die sich zuspitzende Krise im Kliniksektor deutlich: Die Krankenhäuser können ihre Betten im Schnitt derzeit nur zu rund 70 Prozent belegen. Duisburg beispielsweise ist ein Paradebeispiel für Überversorgung . „Vor Corona waren es 80 Prozent“, so Augurzky. Anders als die Betten sei das ärztliche und pflegerische Personal aber mehr als ausgelastet.

Mehr ambulante Versorgung

Das liege auch an Fehlanreizen im System: Nur Österreich verzeichne ähnlich viele stationäre Klinikaufenthalte wie Deutschland. Etwa jede fünfte Patientin und jeder fünfte Patient könne aber genauso gut ambulant versorgt werden. Zudem komme die Bausubstanz der Kliniken in die Jahre, ebenso die technische Ausstattung. Zwar sei das Land für den baulichen Erhalt zuständig, aber da gebe es zu wenig Mittel und aus eigener finanzieller Kraft könnten die Kliniken diese Lücke immer seltener schließen.

Bischof Franz-Josef Overbeck hofft auf mehr interkonfessionelle Zusammenarbeit der Klinikträger.
Bischof Franz-Josef Overbeck hofft auf mehr interkonfessionelle Zusammenarbeit der Klinikträger. © dpa | Marcel Kusch

Hoffnung für den Klinikbereich machte den Teilnehmenden der Podiumsdiskussion in der katholischen Akademie „Die Wolfsburg“ in Mülheim vor allem die Chancen einer zunehmenden Digitalisierung im Gesundheitswesen. Die neue Gesetzeslage ermögliche deutlich mehr Videosprechstunden, so Barbara Steffens, Leiterin der Techniker Krankenkasse in NRW. So könnten auch weniger spezialisierte Häuser auf dem Land per Video Expertinnen und Experten anderer Kliniken hinzuziehen. „Und das wird mittlerweile auch vergütet.“

Gerade für die kleineren Häuser sei zudem eine enge Verzahnung mit dem ambulanten Sektor eine große Chance, da der Fachärztemangel gerade in ländlichen Regionen weiter zunehme. „Wer da ambulante, fachärztliche Infrastruktur in und neben dem Krankenhaus aufbaut, macht sicher nichts falsch. Denn die Versorgung durch niedergelassene Fachärzte wird zunehmend schwierig“, so Augurzky.

Klinikbesuch statt Warten auf den Facharzt

Das führe tatsächlich zu Problemen, machte auch Christoph Hanefeld, Direktor der Medizinischem Klinik der Katholischen Kliniken Bochum, deutlich. Wer beispielsweise zu einem niedergelassenen Gastroenterologen wolle, warte oft vergeblich auf Termine. Die Folge sei, dass die Menschen mit Magenproblemen dann in die Kliniknotaufnahme kämen „mit der Erwartung, dass da dann alles gemacht wird.“

Mehr Digitalität, womöglich auch durch gute Gesundheitsapps mit KI-Funktionen könnten jedoch verhindern, dass zu viele oder die falschen Leute in den Wartezimmern säßen, so Steffens. „Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung ist schwer zu steigern“, gab Boris Augurzky zu bedenken.

Wenn dann ginge das nur über Anwendungen mit Künstlicher Intelligenz, beispielsweise als APP, niederschwellig von einer neutralen und unabhängigen Institution. Doch gut aufgebaut, so Steffens, könne dies gerade auch sozioökonomisch schwächeren Schichten niederschwellig Hilfe und Orientierung anbieten.