Studie: Erste Ergebnisse bestätigen Medikamentenmissbrauch an Kindern

NRW lässt seit bald zwei Jahren in einer Studie den missbräuchlichen
Einsatz von Arzneimitteln an Heim- und Verschickungskindern
erforschen. Ein erschreckender Zwischenstand liegt nun vor.

Düsseldorf (dpa/lnw) - An Verschickungs- und Heimkindern in Kliniken
und anderen Einrichtungen in Nordrhein-Westfalen sind zwischen 1946
und 1980 nach vorläufigen Ergebnissen einer Studie Medikamententests
vorgenommen worden. Nach den ersten Erkenntnissen des Forschungsteams
habe sich der Verdacht bestätigt, dass der missbräuchliche Einsatz
von Medikamenten belegt werden könne, sagte Staatssekretär Matthias
Heidmeier am Mittwoch im Gesundheitsausschuss des Landtags.
Entsprechende Berichte und Schilderungen Betroffener könnten als
zutreffend bestätigt werden. Die Landesregierung wolle die damaligen
Vorgänge umfassend aufklären. «Das schulden wir den Opfern, die
teilweise bis heute leiden.» 

Die Abschlussergebnisse der Studie sollen Anfang 2025 vorgestellt
werden. «Wenn die Ergebnisse der Studie vorliegen, werden wir diese
sorgfältig anschauen und prüfen müssen, wie wir die Opfer noch besser

unterstützen können», teilte NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef
Laumann (CDU) mit, der an der Sitzung nicht teilnehmen konnte. Das
NRW-Ministerium hatte die Studie im Sommer 2022 in Auftrag gegeben,
um missbräuchlichen Medikamenteneinsatz bei Kindern und Jugendlichen
aufarbeiten zu lassen. 

Die missbräuchliche Medikamentengabe an Kinder in Einrichtungen war
nach Angaben des Ministeriums verflochten und komplex.
Abteilungsleiter Markus Leßmann betonte, besonders die Verflechtung
mit Gewaltpraktiken und sexualisierter Gewalt erscheine umfassender
als bisher angenommen.

Belegen ließen sich den Angaben zufolge bisher Versuche mit
Impfstoffen an Kindern und Jugendlichen für Einrichtungen in
Wuppertal, Duisburg und Düsseldorf. Dabei handele es sich um
«Probeimpfungen» neuer, nach der damaligen Technik frisch aus Tieren
gewonnener Chargen von Pockenimpfstoffen, sagte Leßmann. Es sei um
den Vergleich der Impftechniken zwischen Injektion oder Schnitt
gegangen. Die Probeimpfungen seien offensichtlich bevorzugt an
Kindern in Waisenhäusern durchgeführt worden. An den Versuchen sei
auch die damalige Landesimpfanstalt beteiligt gewesen. 

Als belegt angesehen wird von den Forschern auch die Erprobung neuer
Wirkstoffe an Kindern der damaligen Tuberkulose-Heilanstalt Aprath
bei Wülfrath. Dort seien Kindern außerdem Mittel zur Beruhigung
verabreicht worden, damit sie sich bei den sogenannten Liegekuren
ruhig verhielten. So wurde in Aprath den Forschungen zufolge 1956 -
ein Jahr vor Markteinführung - auch das Schlafmittel Contergan
beziehungsweise dessen Wirkstoff Thalidomid getestet. 

Die Wissenschaftler suchen über ein Zeitzeugenportal mögliche
Betroffene von Medikamententests in Einrichtungen. Der
Ausschussvorsitzende Josef Neumann sagte, es müsse Transparenz in die
Geschehnisse in den damaligen Einrichtungen gebracht werden. Täter
und Taten müssten klar benannt werden, damit die Opfer ihre Würde
zurückbekämen.