TK: Im Oktober 2020 ist die Resuscitation Academy Deutschland unter Federführung des IRuN an den Start gegangen. Was verbirgt sich hinter dieser Academy, wer macht mit und was soll erreicht werden?

Prof. Dr. Jan-Thorsten Gräsner: Die Resuscitation Academy ist eine Veranstaltungsreihe, deren ursprüngliches Konzept aus den USA stammt und dort sowie in anderen Ländern wie Dänemark oder Singapur sehr erfolgreich war. Es geht um die Verbesserung des Gesamtsystems im Rahmen der Versorgung von Patientinnen und Patienten nach plötzlichem Herz-Kreislauf-Stillstand. Die Projektidee haben wir auf den deutschen Rettungsdienst angepasst und auf ein zwei Jahres Projekt erweitert. Als Pilotstandorte sind Kiel, Plön, Greifswald, Rostock, Dortmund und Berlin mit dabei. Durch die Entwicklung von lokalen Miniprojekten, die Optimierung individueller Maßnahmen und die Vernetzung der beteiligten Standorte soll die Reanimationsversorgung vom Notruf bis zur Behandlung auf der Intensivstation so verbessert werden, dass mehr Menschen diesen medizinischen Notfall überleben.

TK: Wie hoch ist die Überlebensrate von Menschen nach einem außerklinischen Herz-Kreislaufstillstand in Schleswig-Holstein derzeit im bundesweiten und europäischen Vergleich?

Gräsner: In Deutschland lag die Überlebensrate 2018 bei 13 Prozent und im Jahr 2019 bei 12 Prozent. Europaweit variieren die Überlebensraten zwischen einstelligen Werten (6 Prozent) und knapp 27 Prozent.

Prof. Dr. Jan-Thorsten Gräsner

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TK: In den USA, genauer in Seattle/King County, liegt der Wert inzwischen bei über 56 Prozent. Dort wurde 2008 die erste Resuscitation Academy gegründet. Wie war deren Ausgangslage und mit welchen Ansätzen ist diese positive Entwicklung gelungen?

Gräsner: Veröffentlichte Ergebnisse aus Seattle/King County (USA) belegen einen deutlichen Anstieg der Überlebensrate von 26 Prozent (2002) auf über 50 Prozent (2013) und aktuell auf 56 Prozent bei Patientinnen und Patienten mit initialem Kammerflimmern (für Deutschland sind es 36 Prozent) - resultierend aus zum Beispiel der Einführung der telefonisch angeleiteten kardiopulmonalen Reanimation, regelmäßiger Trainingsprogramme für erweiterte Reanimationsmaßnahmen für Rettungsfachpersonal oder weiterer systemischer Ansätze in sektorübergreifenden Projekten auf kommunaler Ebene.

TK: Als Projektleiter haben Sie folgende Ziele definiert: bessere Patientenversorgung, mehr Überlebende und bessere Ergebnisse in der Reanimation. Wo sehen Sie Verbesserungspotenzial und in welchen Schritten wollen Sie das Ziel erreichen?

Gräsner: Das Verbesserungspotenzial wird individuell mit jedem teilnehmenden Standort gemeinsam identifiziert. Die so genannten "zehn Schritte" der Resuscitation Academy geben einen inhaltlichen Rahmen vor, innerhalb dessen anhand des definierten Verbesserungspotenzials Maßnahmen (Projekte) entwickelt und umgesetzt werden. Das kann für einen Bereich die erstmalige Teilnahme am Deutschen Reanimationsregister sein, für einen anderen Bereich die zur Verfügungstellung öffentlich zugänglicher automatischer externer Defibrillatoren und für einen weiteren Bereich die Entwicklung eines High-Performance-Trainingsprogramms. Im Verlauf von insgesamt vier zweitägigen Veranstaltungen über einen Zeitraum von zwei Jahren sollen diese Ziele erreicht werden. Unterstützt werden wir und unsere sechs Rettungsdienstbereiche von erfolgreichen Kollegen aus Seattle, Kopenhagen und Singapur.

TK: Eine aktuelle Studie der TK zeigt, dass bei jeder dritten Norddeutschen Person der letzte Erste-Hilfe-Kurs zehn Jahre oder noch länger zurückliegt. Bei 23 Prozent der Befragten sogar mehr als 20 Jahre. Die TK hat mit dem Deutschen Rat für Wiederbelebung die Erste-Hilfe-App TK-RescueMeVR  für das Smartphone entwickelt. In einem interaktiven Video wird mithilfe von Virtuell Reality die Herzdruckmassage erlernt. Was halten Sie davon auf diesem Weg das Wissen um die Reanimation und Erste-Hilfe aufzufrischen?

Gräsner: Auffrischen ja, gerne auch regelmäßig! Die App entspricht modernen Kommunikations- und Bildungsmedien, ersetzt jedoch keinen Kurs, hilft aber auf jeden Fall, altes Wissen aufzufrischen oder zu wiederholen.

Zur Person

Prof. Dr. med. Jan-Thorsten Gräsner, Facharzt für Anästhesiologie, ist seit 2015 der Direktor des Instituts für Rettungs- und Notfallmedizin am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein. Er ist Sprecher des Organisationskomitees des Deutschen Reanimationsregisters und seit 2004 als Koordinator "Bundesweites Reanimationsregister der DGAI" in den Auf- und Ausbau des Deutschen Reanimationsregisters involviert. Darüber hinaus ist Gräsner seit 2012 Projektkoordinator des Europäischen Reanimationsregisters (EuReCa) des European Resuscitation Councils und seit 2015 erster Sprecher des Wissenschaftlichen Arbeitskreises "Notfallmedizin" der DGAI. Zudem hat er die Global Resuscitation Alliance mitbegründet und ist Koordinator eines weltweiten Netzwerkverbundes von Reanimationsregistern.