Jana Walther

Gewalt in der Pflege verhindern: eine Aufgabe aller

Über Gewalt in der Pflege wird nur selten gesprochen. Das Projekt PEKo will genau das ändern. Prof. Dr. Katrin Balzer spricht über die Forschungsergebnisse und die Rolle der Wissenschaft bei diesem so sensiblen Thema.

Frau Balzer, Gewalt in der Pflege wird nur selten thematisiert. Welchen Beitrag kann die Wissenschaft aus Ihrer Sicht leisten, um das Thema zu enttabuisieren?

Wissenschaft ist sehr wichtig, um auf Probleme aufmerksam zu machen, Debatten anzustoßen, Lösungsperspektiven aufzuzeigen und zu helfen, dass diese in der Praxis auch angewandt werden können. Durch Forschung trägt sie dazu bei, sachgerechte und plausible Daten zur Häufigkeit und zu den Entstehungsmechanismen von Gewaltereignissen in der Pflege zu gewinnen. Dieses Wissen ist wiederum Voraussetzung, um mithilfe von Forschung Strategien zu entwickeln und zu erproben, die helfen können, Gewalt zu vermeiden oder, wenn sie vorkommt, diese Vorkommnisse kritisch zu reflektieren, aus ihnen zu lernen und daraus resultierende Belastungen zu verringern.

Prof. Dr. Katrin Balzer ist Leiterin der Sektion Forschung und Lehre in der Pflege an der Universität zu Lübeck.

So ein sensibles Thema ist sicher nicht leicht zu erforschen. Wie sind Sie dabei vorgegangen? Was gab es konkret in dem Projekt zu beachten?

Ein Kernmerkmal des Projekts PEKo war es, dass es kein Projekt über Gewalt in der Pflege, sondern eines mit den Pflegenden zum Thema ‚Gewalt in der Pflege‘ war. In der Pflegeforschung bezeichnen wir solche Ansätze als partizipativ. Im Fall von PEKo bedeutete dies, dass die Pflegenden sich gleichberechtigt mit dem Projektteam in die Planung, Durchführung und Auswertung der Maßnahmen zur Gewaltprävention einbringen konnten. In jeder teilnehmenden Pflegeeinrichtung wurde dafür ein sogenanntes PEKo-Team aus Mitarbeitenden verschiedener Berufsgruppen und Einrichtungsbereichen gebildet. Diese Teams überprüften kritisch, in welchen Situationen und Ausprägungen Gewalt im Pflegealltag insbesondere vorkam, was mögliche Einflussfaktoren waren und welche Gegenmaßnahmen geeignet wären.

Unterstützend führte das Studienteam in den Einrichtungen eine Befragung der Pflegenden durch. Auf Basis dieser Informationen wurden passgenaue Maßnahmen zur Gewaltprävention und Sensibilisierung eingeleitet – etwa Schulungen zur gewaltfreien Kommunikation und Deeskalation.

Wissenschaft ist sehr wichtig, um auf Probleme aufmerksam zu machen, Debatten anzustoßen, Lösungsperspektiven aufzuzeigen und zu helfen, dass diese in der Praxis auch angewandt werden können.

Das PEKo-Projekt ist nun abgeschlossen, doch die Gewaltprävention in den Einrichtungen soll weiter gefördert werden. Was ist Ihrer Ansicht nach die wichtigste Erkenntnis aus dem Projekt und wie muss es jetzt weitergehen?

Die Ergebnisse zeigen, dass das Gewaltvorkommen durch den partizipativen Präventionsansatz in einem relevanten Maße reduziert werden konnte, insbesondere in den Bereichen psychische Gewalt und Vernachlässigung. Beispielsweise sank der Anteil der Mitarbeitenden, die nach eigenen Angaben in den letzten drei Monaten psychische Gewalt ausgeübt oder bei anderen Teammitgliedern beobachtet haben, von knapp 50 auf 40 Prozent beziehungsweise von knapp 80 auf 70 Prozent; im Bereich der Vernachlässigung reduzierten sich diese Anteile bei ähnlichen Ausgangszahlen um mehr als fünf Prozent. Das ist für die Pflegepraxis wie für die Pflegewissenschaft eine sehr wertvolle Erkenntnis.

Wir werten dies als einen Erfolg für den PEKo-Ansatz, weshalb das gesamte PEKo-Konsortium unter der Federführung des Instituts für Pflegewissenschaft an der Universität zu Köln aktuell an einer Verstetigung dieses Ansatzes arbeitet. Basierend auf dem Projekt wurde ein Handbuch entwickelt, das interessierten Einrichtungen als eine Art „Werkzeugkasten“ für die Gewaltprävention zur Verfügung gestellt wird. Damit soll der erfolgreiche PEKo-Gedanke weiterverbreitet und die konstruktive, enttabuisierende Auseinandersetzung mit dem Thema gefördert werden. Zudem sind PEKo-Folgeprojekte gestartet, die die Umsetzung dieses Ansatzes in der ambulanten Pflege und der Pflege im Akutkrankenhaus untersuchen.

Die Ergebnisse demonstrieren aber auch, dass die Vermeidung von Gewalt in der Pflege nicht allein Aufgabe der Pflegeteams sein kann, sondern uns auch als Gesellschaft fordert. Denn trotz allem berichteten immer noch mehr als 80 Prozent der Pflegenden nach der Umsetzung des PEKo-Ansatzes, in den letzten drei Monaten mindestens einmal irgendeine Form von Gewalt erfahren zu haben. Das zeigt, dass die Gewalterfahrung von Pflegenden und das Gewaltvorkommen in der Pflege tieferliegende Ursachen haben. Hierzu gehören vermutlich auch die Bedingungen, unter denen pflegerische Arbeit geleistet wird, wie zum Beispiel Personalausstattung, Gehalt oder Arbeitsorganisation. Diese Einflussfaktoren und deren Wechselspiel mit anderen umgebungs- und personenbezogenen Faktoren noch besser zu verstehen und stärker zum Wohle aller Beteiligten zu gestalten, das ist ein aktueller, wichtiger Auftrag der Pflegewissenschaft und aller benachbarter Disziplinen im Bereich der Gewaltprävention in der Pflege.



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