Etappensieg für Privatunternehmen Vergabepraxis bei NRW-Rettungsdiensten gekippt

Kamen · Malteser, Deutsches Rotes Kreuz oder Johanniter – viele Kommunen bevorzugen die bekannten Hilfsorganisationen bei der Beauftragung von Rettungsdiensten. Die Vergabekammer Westfalen hat dieses Vorgehen nun gestoppt.

 Viele Kommunen bevorzugen die Vergabe von Rettungsdienst-Aufträgen an bekannte Hilfsorganisationen.

Viele Kommunen bevorzugen die Vergabe von Rettungsdienst-Aufträgen an bekannte Hilfsorganisationen.

Foto: dpa/Jan Woitas

Die bevorzugte Vergabe von Rettungsdienst-Aufträgen an bekannte Hilfsorganisationen wie das Deutsche Rote Kreuz, die Johanniter oder Malteser ohne geregelte Ausschreibung gerät unter Druck. Die Vergabekammer Westfalen gab einem privaten Rettungsdienst recht, der sich gegen die Vergabe der Stadt Kamen an die Malteser gewehrt hatte (Az.: VK 1 – 20/22). Die Stadt hatte mit Hinweis auf die sogenannte Bereichsausnahme für Rettungsdienste den Privatanbieter gar nicht erst berücksichtigt. Grundsätzlich hatte der Europäische Gerichtshof 2019 dieses abweichende Vorgehen von der üblichen Vergabepraxis zwar gestattet (Az.: C-465/17), aber nur unter der Voraussetzung, dass es auch im Landesrecht festgeschrieben ist. In NRW ist das nicht der Fall. Dort ist neben den „anerkannten Hilfsorganisationen“ auch von „anderen Leistungserbringern“ die Rede.

Die Beschwerde vorangetrieben hat Peter Schroeter, Geschäftsführer der gemeinnützigen Gesellschaft Reinoldus-Rettungsdienst. Viele Kommunen hätten in der Vergangenheit mit Verweis auf die Bereichsausnahme die Hilfsorganisationen bei der Vergabe privilegiert. „Weil wir das nicht länger hinnehmen wollten, haben wir uns im Fall von Kamen an die Vergabekammer Westfalen gewandt und recht bekommen.“ Er verstehe nicht, was gegen ein transparentes Vergabeverfahren spreche, sagt Schroeter. „Man konnte den Eindruck gewinnen, als sei vielen Entscheidungsträgern das Festhalten an alten Zöpfen wichtiger, als offen für innovative Konzepte zu sein.“

Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig; die Vergabekammer ließ den Weg zum Oberlandesgericht zu. Ein Sprecher der Stadt Kamen erklärte auf Anfrage, man prüfe derzeit die Einlegung eines Rechtsmittels. In anderen Bundesländern hatte es bereits vergleichbare Entscheidungen gegeben – zugunsten der privaten Anbieter.

„Dort werden seitdem die Privatunternehmer ordentlich an den Vergaben beteiligt, wie es die Landesgesetze ja auch ausdrücklich vorsehen“, sagt Schroeter. Bayern hat dagegen im Rettungsdienstgesetz festgeschrieben, dass nur noch gemeinnützige Organisationen und Vereinigungen zum Zuge kommen. „Sollte NRW diesen Weg gehen, wären wir durchaus bereit, per Klage überprüfen zu lassen, ob damit nicht die Berufsfreiheit der Privatunternehmen unzulässig eingeschränkt wird, obwohl wir selbst eine gemeinnützig anerkannte Gesellschaft sind“, sagte Schroeter.

Sein Rechtsanwalt Andreas Staufer sagte unserer Redaktion: „Noch ist die Entscheidung nicht bestandskräftig. Die Kommunen sind dennoch gut beraten, sich ihre Verträge noch einmal genauer anzuschauen.“ Altverträge seien zwar meist nicht unmittelbar betroffen. „Aber wenn es sich um Neuverträge handelt, es jüngst zu einer Vertragsverlängerung oder Aufstockung gekommen ist, ermöglicht das durchaus Anknüpfungspunkte für Dritte, diese noch einmal von der Kammer prüfen zu lassen.“ Und das müssen Staufer zufolge nicht nur privatwirtschaftliche Anbieter sein. Denkbar wäre auch, dass andere Hilfsorganisationen die Vergabepraxis prüfen lassen.

Ein Sprecher des Städte- und Gemeindebunds NRW sagte: „Für die Kommunen sind die Hilfsorganisationen besonders wertvolle Partner. Auf sie ist beim Rettungsdienst ebenso Verlass wie beim Katastrophenschutz.“ Ihnen als gemeinnützigen Organisationen ein Vorrecht bei der Vergabe einzuräumen, halte man darum für sinnvoll und angemessen. „Diese bewährte Praxis steht auch im Einklang mit der gängigen Rechtsauffassung und Erlasslage. Für alle Beteiligten wäre es sicher hilfreich, das Verfahren im Rettungsgesetz für Nordrhein-Westfalen klar und eindeutig zu regeln.“

Das NRW-Gesundheitministerium verwies darauf, dass die Entscheidung noch nicht rechtskräftig sei und die schriftlichen Gründe der Entscheidung noch nicht vorlägen. „Die Handlungsoptionen und -notwendigkeiten bleiben daher dem weiteren Verfahrenslauf sowie einer umfassenden Bewertung durch das Ministerium vorbehalten und sind zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abschließend festlegbar“, sagte ein Sprecher.

Die Hilfsorganisationen sind alarmiert. In einem Schreiben des DRK-Landesverbands Westfalen-Lippe an seine Kreisverbände heißt es: Die Entscheidung der Vergabekammer sei imstande, bei den Trägern gegebenenfalls Zweifel an der Anwendbarkeit der Bereichsausnahme zu schüren.

Die Kritik, die vielfach über die private Anbieter geäußert wird, nennt Reinoldus-Geschäftsführer Schroeter „an den Haaren herbeigezogen“: „Die Hilfsorganisationen berufen sich einerseits auf ihre gemeinnützigen Strukturen und das ehrenamtliche Engagement, sind aber de facto selbst inzwischen wie Privatunternehmen aufgestellt, betreiben Kindergärten, Pflegeheime, Second-Hand-Shops und sogar Wertstoffhöfe und Parkhäuser. Sie sind also klare Kapitalgesellschaften und bekennen sich zum Markt.“ Und auch der Vorwurf, die Privatretter verfügten für den Katastrophenfall nicht über ausreichende Strukturen, ziehe nicht, sagt Schroeter. „Wir haben bei der Flut in Hagen durchaus bewiesen, dass wir einen substanziellen Beitrag zur Katastrophenbewältigung beitragen und unsere Helfer – im Gegensatz zu den Hilfsorganisationen – ohne Landesmittel für den Ernstfall ausbilden und trainieren.“ Bleibe noch der Vorwurf, die Privaten würden Lohndumping betreiben. „Da kann ich nur sagen: Wir zahlen über Tarifvertrag. Wir sind zudem ein gemeinnütziges Unternehmen. Bei uns werden keine Gewinne abgeschöpft.“

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