14. Februar 2023

Krankenhausreform: Vorschläge der Regierungskommission würden Versorgung einschränken – Auswirkungsanalyse offenbart massive Verschiebungen

KGNW-Präsident Morell: Versorgung der Patientinnen und Patienten muss im Mittelpunkt stehen

Düsseldorf, 14.02.2023 – Die Vorschläge der Regierungskommission für eine Krankenhausreform führen nach dem Ergebnis einer ersten datengestützten Auswirkungsanalyse zu rigorosen Einschnitten für die Patientinnen und Patienten in Nordrhein-Westfalen. Wichtige medizinische Leistungen müssten bei konsequenter Anwendung des Reformkonzepts auf nur noch 36 Krankenhäuser im Rheinland und in Westfalen-Lippe konzentriert werden. Das bedeutet, dass der überwiegende Teil der 337 NRW-Krankenhäuser von elementaren Teilen der Versorgung ausgeschlossen würde. Die von Prof. Dr. Boris Augurzky zusammen mit der Firma Vebeto erstellte Auswirkungsanalyse zeigt sowohl Einschnitte in der Krankenhauslandschaft als auch gewaltige Verschiebungen in beispielhaften Behandlungsfeldern auf. So müssten sich beispielsweise 70 Prozent aller werdenden Eltern eine neue Entbindungsklinik suchen. Zudem würde die Notfallversorgung bei Herzinfarkt oder Schlaganfall stark ausgedünnt.

Ingo Morell, Präsident der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen (KGNW), erklärt am Dienstag bei der Vorstellung der Analyse für NRW: „Der Blick auf die Folgen, die das Reformkonzept der Bundesregierung für die konkrete Versorgung der Menschen in NRW hätte, bestätigt: Eine solche Krankenhausplanung vom grünen Tisch in Berlin folgt zahlengetriebenen Zielen, die am tatsächlichen Bedarf der Menschen in ihrem Umfeld vorbeigehen. Im Mittelpunkt muss aber eine verlässliche, gut erreichbare und qualitativ hochwertige Versorgung für die Patientinnen und Patienten in den Städten und auf dem Land stehen. Diesen Ansatz setzt die neue nordrhein-westfälische Krankenhausplanung mit dem Blick für die regionalen Erfordernisse um. Das geht nur auf Landesebene, weil die Länder den jeweiligen Bedarf kennen.“

Zum Hintergrund: Die vorgelegte Auswirkungsanalyse zu den Reformvorschlägen der Regierungskommission hat die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) in Auftrag gegeben. Sie stützt sich auf öffentlich verfügbare Daten zu den Strukturen, Leistungen und Fallzahlen der Krankenhäuser für das Jahr 2020. Auf dieser Grundlage wurden die konkreten Folgen des Reformkonzepts überprüft. Dieses sieht vor, dass die Krankenhäuser in drei Level eingeteilt und ihnen damit statisch bestimmte medizinische Leistungsgruppen zugeteilt werden. Die Grundversorgung mit nur wenigen Leistungsgruppen sollen in der Stufe Level 1n Kliniken mit einer Notaufnahme übernehmen, sofern nicht ein Haus der höheren Level binnen 30 Minuten erreichbar ist. In Level 2 sind Krankenhäuser mit höherer Notfallstufe und einem umfassenderen Leistungsangebot eingeordnet, die zudem eine Geburtshilfe sowie eine gynäkologische Fachabteilung und eine Stroke Unit für Schlaganfälle betreiben. Unter Level 3 fallen Uni-Kliniken und vergleichbar aufgestellte Krankenhäuser mit der höchsten Notfallstufe und den meisten Leistungsgruppen. Alle nicht in diese Stufen fallenden Krankenhäuser sollen als Level 1i klassifiziert werden und nur noch ambulante und kurzstationäre pflegerische und ärztliche Versorgung (unter anderem durch niedergelassene Ärztinnen und Ärzte) erbringen dürfen. Ausnahmen kann eine Landesregierung definieren, wenn sie zur Versorgung der Bevölkerung eine andere Einstufung für erforderlich hält.

Zu den Ergebnissen: Von 358 Krankenhausstandorten* in NRW erreichen der Analyse zufolge nur 14 das Level 2 und weitere 22 das Level 3. Neben diesen 36 Kliniken erfüllen zwar 233 Krankenhäuser die Voraussetzung für das neue Level 1n, doch lässt die Vorgabe der Regierungskommission nur 47 Krankenhäuser tatsächlich direkt zu. Alle anderen Häuser liegen zu nah an einem Krankenhaus der höheren Stufe und können deshalb nur als Level 1i mit weitermachen. Dies gilt auch für 63 Krankenhäuser, die direkt in diese Kategorie fallen sollen. Die konkreten Folgen eines solchen Modells illustriert die Auswirkungsanalyse mit vier Beispielen:

  • Geburtshilfe: Von 137 Standorten mit einer Geburtshilfe (Stand: 2021) lässt die Beschränkung auf die Level 2 und 3 nur noch 35 Standorte übrig. 70 Prozent der werdenden Eltern müssen sich eine andere Entbindungsklinik suchen. (IT NRW führt für 2021 fast 175.400 Geburten in NRW an.)
  • Interventionelle Kardiologie: Akute Herzinfarkte können aktuell in 136 Standorten mit einer interventionellen Kardiologie schnell behandelt werden. Bei Einschränkung auf die Level 2 und 3 bleiben noch 34 Standorte übrig. 70 Prozent der Patientinnen und Patienten müssten auf eines dieser Krankenhäuser ausweichen.
  • Neurologische Versorgung: Auch die allgemeine oder komplexe Neurologie soll nur noch in Level 2 oder 3 stattfinden. Damit bleiben 33 statt bisher 74 Standorte übrig. Die Hälfte aller Patientinnen und Patienten (52 Prozent) müsste sich eine andere Klinik suchen.
  • Urologische Versorgung: Die geplante Verlagerung der allgemeinen und komplexen Urologie in Häuser der Level 2 und 3 lässt nur noch 22 statt bisher 80 Standorte zu. Auch hier müssen 72 Prozent aller stationären Fälle auf die wenigen verbliebenen Standorte ausweichen.

Die Bewertung: Für KGNW-Präsident Ingo Morell verdeutlichen allein die vier Beispiele, wie wenig die Regierungskommission gewachsene Strukturen und die realen Folgen ihrer Planung bedacht hat. „Wer Krankenhausplanung nur nach einem Algorithmus ausrichtet, kann dem realen Bedarf der Menschen in unserem Land nicht gerecht werden. Es ist vollkommen unrealistisch, mehr als zwei Drittel aller Geburten kurzerhand auf wenige Geburtshilfen auszulagern. Dafür müssten an diesen Standorten mehrere Etagen mit Kreißsälen und zugleich Hotels für Hochschwangere und Angehörige gebaut werden.“ Für extrem gefährlich hält Morell die geplante Konzentration bei der interventionellen Kardiologie auf wenige Standorte, wie sie auch für die Schlaganfall-Behandlung geplant ist: „Wenn es um Leben und Tod geht, wenn jede Sekunde zählt, kann in einem Bundesland mit 18 Millionen Einwohnern nicht ein dünnes Netz von wenigen Kliniken die Daseinsvorsorge sicherstellen.“

Der Ausblick: Aus Sicht der nordrhein-westfälischen Krankenhäuser muss die Krankenhausplanung in der Verantwortung der Länder bleiben. Die in NRW im Konsens mit allen Beteiligten entwickelte Planungssystematik ermögliche eine nachhaltige Veränderung der Krankenhauslandschaft, weil die Zuordnung der Leistungsgruppen auch zur Fusion, Verlagerung oder sogar Schließung einzelner Standorte führen könne, erklärt KGNW-Präsident Morell: „Zugleich aber sichert diese Systematik eine wohnortnahe und verlässliche Daseinsvorsorge durch die Krankenhäuser. Deshalb wollen und werden wir diesen hier begonnenen Prozess fortsetzen. Die hier gewählten Ansätze sind geeignet, auch die Ziele der Regierungskommission zu erreichen.“ Grundzüge dieses Ansatzes finden sich im jetzt vorgelegten Reformvorschlag der DKG wieder. In NRW stellt die Landesregierung 2,5 Milliarden Euro für den Einstieg in die Umsetzung der Krankenhausplanung bereit. Das zeigt deutlich, dass eine grundlegende Krankenhausreform nicht ohne umfassende Investitionen funktionieren kann. KGNW-Präsident Ingo Morell betont als Konsequenz aus der Auswirkungsanalyse: „Wir hoffen, dass Bund und Länder bei ihren Gesprächen über eine Krankenhausreform den Fokus auf die flächendeckend gute Versorgung der Patientinnen und Patienten legen. Das kann nur erfolgreich gelingen, wenn die unselige Verknüpfung von Leveln und Leistungsgruppen aufgelöst wird. Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Bundesregierung die unter Corona noch beklatschte und vor allem bewährte Daseinsvorsorge durch die Krankenhäuser nun zerschlagen will.“

© KGNW

* Die Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen ist der Zusammenschluss der Krankenhausträger und ihrer Spitzenverbände. Sie vertritt rund 340 somatische und psychiatrische Krankenhäuser, die mit etwa 286.000 Beschäftigten zu den größten Arbeitgebern in NRW zählen. Zu einigen Krankenhäusern gehören mehrere Standorte, worauf sich die unterschiedlichen Zahlen in dieser Pressemitteilung beziehen.

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