Für den neuen Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) dürfte es die größte Herausforderung seiner Amtszeit werden: wirkungsvoll gegen den Pflegenotstand vorzugehen. Denn dass in deutschen Kranken- und Pflegeheimen Zehntausende Pflegekräfte fehlen, die verbliebenen entsprechend überlastet und die Patienten oft schlecht versorgt sind, wird zunehmend als zentrales gesellschaftliches Problem wahrgenommen. Der Frust in der Öffentlichkeit wächst.

Der Gesetzentwurf mit dem sperrigen Namen "Pflegepersonal-Stärkungsgesetz", den das Kabinett an diesem Mittwoch verabschiedet hat, soll zur Lösung dieser großen Herausforderung einen ersten Beitrag leisten. Der Bundestag muss dem Gesetz noch zustimmen.

Was ist geplant?

Ab 2019 soll jede zusätzliche Pflegekraft in Krankenhäusern voll von den Krankenkassen finanziert werden. Das gilt auch für Aufstocker, die bisher in Teilzeit gearbeitet haben. Die Krankenhäuser könnten ab kommendem Jahr also so viele Pflegekräfte einstellen, wie sie bräuchten und fänden, sagte Spahn bereits im Juni. Geld sei keine Ausrede mehr.

Ab 2020 soll die Finanzierung der Pflege in den Krankenhäusern dann grundsätzlich neu geregelt werden. Bisher bekamen diese Fallpauschalen für bestimmte ärztliche Leistungen, darin war ein Anteil für Pflege enthalten, unabhängig davon, wie viel Pflege jemand wirklich brauchte. Pro Blinddarmoperation oder Kaiserschnitt gab es einen festgelegten Betrag. Für die Krankenhäuser, die letztlich auch wirtschaftende Unternehmen sind, lohnte es sich deswegen, an der Pflege zu sparen. Das soll sich ändern, indem die Pflege künftig unabhängig von den Fallpauschalen vergütet wird. Jedes Krankenhaus bekäme dann ein eigenes Budget für Pflege, das seine realen Kosten deckt. 

Dass auch wirklich genug Pfleger eingestellt werden, will die Regierung streng kontrollieren lassen: Ab 2020 soll für jedes Krankenhaus das Verhältnis zwischen der Zahl der Pflegekräfte und dem anfallenden Pflegeaufwand berechnet und veröffentlicht werden. Wird dabei eine bestimmte Grenze unterschritten, soll es Sanktionen für das Krankenhaus geben.

In den Pflegeheimen sollen 13.000 zusätzliche Stellen geschaffen werden. Einrichtungen bis zu 40 Bewohnenr haben Anspruch auf eine halbe zusätzliche Stelle. Einrichtungen mit 41 bis 80 Bewohnern auf eine Stelle. Heime mit 81 bis 120 Bewohnern bekommen 1,5 und Häuser mit über 120 Bewohnern zwei zusätzliche Stellen.

Um überhaupt Pfleger zu finden, will die Regierung den Beruf attraktiver machen. Sie will eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf fördern. Die betriebliche Gesundheitsförderung wird gestärkt. Zudem bekommen Krankenhäuser mehr Geld zur Ausbildung von Pflegepersonal. Die Digitalisierung der Pflege und damit die Vereinfachung bestimmter Abläufe soll von der Pflegeversicherung gefördert werden.

Kurzfristig geändert wurde in dem Gesetzentwurf die geplante Neuausrichtung der Notfallversorgung. Die Krankenhäuser sollen dafür zusätzliches Geld bekommen. Das müssen nun allerdings nicht mehr, wie ursprünglich geplant, die Krankenhäuser bezahlen, die die Voraussetzungen für die Notfallversorgung nicht erfüllen.

Pflegenotstand - »Wir sehen uns gezwungen, das Leben unserer Patienten zu gefährden«

Lässt sich der Pflegenotstand so beheben?

Auf die Schnelle sicher nicht. Dazu ist die Lücke zu groß. Der Bundesagentur für Arbeit zufolge sind derzeit 36.000 Stellen in der Alten- und Krankenpflege unbesetzt, und das sind nur die Stellen, die bereits ausgeschrieben sind. Laut der Gewerkschaft ver.di fehlen in den deutschen Krankenhäusern rund 80.000 Pflegekräfte, hinzu kommen Zehntausende in Heimen und bei Pflegediensten. Tendenz steigend: Die Bertelsmann-Stiftung geht bis 2035 von einer Lücke von 500.000 Vollzeitkräften aus, wenn sich die Zahl der Pflegebedürftigen so erhöht wie derzeit prognostiziert.

Wie viele neue Stellen durch das jetzige Gesetz an Krankenhäusern entstehen könnten, lässt sich nicht prognostizieren. Die geplanten 13.000 neuen Stellen in Pflegeheimen sind angesichts des tatsächlichen Mangels bestenfalls ein erster Schritt. Experten befürchten zudem, dass Altenpfleger zunehmend zu Krankenhäusern abwandern könnten, weil sie dort besser bezahlt werden.