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Ärztekammerchef über Arbeitszeiten, Krankenhäuser und Digitalisierung

„Zuschüsse für kleine Kliniken“

Münster (WB). Als gerade gewählter neuer Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe will Dr. Hans-Albert Gehle (59) die Interessen von 45.000 Ärzten vertreten. Christian Althoff sprach mit ihm über seine Themen.ezembed

In Halle/Saale nehmen Siglinde und Norbert Neumann an einem Versuch teil und sprechen über ein Tablet mit ihrem Hausarzt. Westfalens Ärztekammerpräsident Hans-Albert Gehle befürwortet so etwas, will aber eine finanzielle Mehrbelastung der Ärzte verhindern.
In Halle/Saale nehmen Siglinde und Norbert Neumann an einem Versuch teil und sprechen über ein Tablet mit ihrem Hausarzt. Westfalens Ärztekammerpräsident Hans-Albert Gehle befürwortet so etwas, will aber eine finanzielle Mehrbelastung der Ärzte verhindern. Foto: dpa

Herr Dr. Gehle, Sie stammen aus Ostwestfalen?

Dr. Johannes Gehle: Ja, ich bin 1960 in Peckelsheim im damaligen Kreis Warburg zur Welt gekommen, und zwar im Bezirkskrankenhaus Peckelsheim. Das wurde von niedergelassenen Ärzten betrieben. Auch meine fünf Geschwister sind dort geboren.

Ist es ein Vollzeit-Job, Ärztekammerpräsident zu sein?

Gehle: Nein. Ich arbeite weiter als Oberarzt für Anästhesiologie und Innere Medizin am Krankenhaus Bergmannsheil in Gelsenkirchen-Buer. Für die Zeit, die ich als Ärztekammerpräsident arbeite, bekommt das Krankenhaus einen Ersatz gestellt.

Was sehen Sie als Ihre wichtigste Aufgabe?

Gehle: Die Nachwuchsförderung. Für jeden Arzt, der in den Ruhestand geht, brauchen wir etwa 1,4 neue Ärzte. Denn die Zeiten, in denen Ärzte nicht auf die Uhr schauten und zum Beispiel in Krankenhäusern 120-Stunden-Schichten machen mussten, sind vorbei. Wenn ich an einen Freund meines Vaters denke, der Arzt in Peckelsheim war, dann hat der, glaube ich, niemals Urlaub gemacht. Für die jungen Kollegen ist heute ihre Rolle als Familienvater mindestens ebenso wichtig wie der Beruf, und das ist ja auch gut so.

Was kann da die Ärztekammer konkret tun?

Gehle: Zum einen dürfen wir nicht nachlassen, mehr Studienplätze zu fordern. Vor der Wiedervereinigung hatten wir bundesweit 16.000 Medizin-Studienplätze, heute sind es 11.000. Dass es in Bielefeld eine Medizinfakultät mit Schwerpunkt Allgemeinmedizin geben wird, ist gut. Wie viele Ärzte die aufs Land bringt, müssen wir abwarten. Im Wettbewerb mit anderen Bundesländern tun wir aber in Westfalen-Lippe auch einiges, um Studenten für diese Region zu werben. Wir bieten Studenten Fortbildungswochen auf Borkum und andere Veranstaltungen an. Und wir bemühen uns, Ärzte aus dem Ausland willkommener zu heißen. Vor etwa 15 Jahren kamen etliche Ärzte aus Spanien zu uns. Die sind fast alle wieder weg, weil sie sich nicht dazugehörig, nicht aufgenommen fühlten. Aber auch die ländlichen Kommunen sind gefragt. Wenn es keinen Bäcker und keine Schule gibt, ziehen Ärzte nicht dorthin – wie andere Menschen auch nicht.

Nordrhein-Westfalen steht vor der größten Krankenhaus-Neustrukturierung seiner Geschichte. Müssen Menschen auf dem Land fürchten, bald keine Klinik mehr in erreichbarer Nähe zu haben?

Gehle: Gesundheitsminister Laumann hat gesagt, es gehe nicht an, dass die Menschen auf dem Land die gleichen Kassenbeiträge zahlten wie Menschen in der Stadt, aber eine schlechtere Versorgung bekämen. Das sehe ich genauso. Krankenhausschließungen scheinen deshalb eher in Ballungsräumen wahrscheinlich, wo es ein Überangebot gibt. Aber auf dem Land werden Häuser sich abstimmen und Kompetenzen bündeln müssen. Nicht jeder wird mehr alles anbieten können.

Aber gerade dieses Gemischtwarenangebot ist es ja, das viele Krankenhäuser gerade noch so am Leben hält. Zumal das Land seiner Verpflichtung, Investitionskosten etwa für den Gebäudeunterhalt zu übernehmen, ja nicht nachkommt.

Gehle: Das stimmt. Es tobt ja fast schon ein Krieg unter den Krankenhäusern, die immer mehr Leistungen anbieten, um irgendwie noch Geld einzunehmen und den Betrieb am Laufen zu halten. Das kann nicht die Lösung sein.

Wie könnte das System also stattdessen aussehen?

Gehle: Die kleinen Krankenhäuser leisten die Grundversorgung und haben vielleicht noch einen oder zwei Schwerpunkte, in denen sie überörtliche Kompetenz haben. Weil das die Kosten aber nicht deckt, müssen die Häuser Zuschüsse bekommen – von den Krankenkassen oder dem Land.

Digitalisierung im Gesundheitswesen ist so ein Schlagwort, aber da sind wir noch nicht weit, oder?

Gehle: Wir haben in die ärztliche Berufsordnung hineingeschrieben, dass Fernbehandlung unter bestimmten Bedingungen erlaubt ist. Dass sich also ein Arzt über das Internet ein Bild von einem Patienten machen darf. Allerdings fehlen die Voraussetzungen. Zum einen ist das Netz auf dem Land oft nicht schnell genug, zum anderen fehlt es auch an der Software. Aus Datenschutzgründen dürfen wir nicht einfach Dienste wie Skype benutzen. Und wir brauchen von Patienten die Erlaubnis, wenn wir ihren Fall per Internet mit einem anderen Arzt besprechen wollen. Die Sorge, gegen Datenschutzvorschriften zu verstoßen, führt dazu, dass wir noch viele Faxe verschicken, obwohl es per E-Mail schneller ginge. Da sind andere Länder wie Dänemark pragmatischer und weiter. Die haben aber auch schon vor 25 Jahren mit der Digitalisierung angefangen. Wichtig ist mir, dass die niedergelassenen Ärzte nicht auf den Kosten sitzenbleiben, wenn sie Software für Telemedizin anschaffen. Da sind noch viele Fragen ungeklärt.

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