Potenziale einer Pflege 4.0

Technologische Innovationen: Hoffnung für eine zukunftsgewandte Pflege

Demografische Trends und strukturelle Probleme stellen das Pflegesystem in Deutschland vor fundamentale Herausforderungen. Für eine zukunftsfähige Pflege brauchen wir neue Lösungen, die bessere Arbeitsbedingungen und Entlastung für Pflegende schaffen und dabei helfen, eine qualitativ hochwertige Pflege sicherzustellen. Technologische Innovationen bieten hierfür ein enormes Potenzial – vorausgesetzt sie werden so eingesetzt, dass sie ihre Wirksamkeit zum Wohle der Pflegenden und Pflegeempfangenden entfalten können.

Foto Martina Lizarazo López
Dr. Martina Lizarazo López
Senior Project Manager
Foto Anastasia Hamburg
Anastasia Hamburg
Project Manager

Inhalt

Der demografische Wandel wird in den nächsten Jahren dazu führen, dass die Zahl der pflegebedürftigen Menschen in Deutschland steigt. Gleichzeitig stehen weniger potenzielle Arbeitskräfte zur Verfügung und spitzt sich der Mangel an professionell Pflegenden weiter zu. Bereits seit Jahren leidet das Pflegesystem zudem an strukturellen Problemen. Der Arbeitsalltag im Pflegeberuf ist geprägt von einer Vielzahl an körperlichen und psychischen Anforderungen wie Zeitdruck, Schichtarbeit, hoher Arbeitsintensität oder auch emotional anspruchsvollen Situationen. Die überdurchschnittlich vielen Krankheitstage und der hohe Anteil an Frühverrentungen sind nur zwei der vielen Belastungsindikatoren.

Nutzenpotenziale innovativer Pflegetechnologien sichtbar machen

Hohe Erwartungen werden an den Einsatz innovativer Pflegetechnologien geknüpft, wenn es darum geht, Qualität der Pflege, Qualität der Arbeit und Wirtschaftlichkeit gleichermaßen zu erfüllen. Allerdings ist die Pflege ihrem Selbstverständnis nach eher eine „Low tech“-Branche, in der die soziale Interaktion im Zentrum steht. Konkrete Erfahrungen zu den Effekten technologiegestützter Pflegearbeit auf die Arbeitsbedingungen und die Pflegequalität sind bisher nur spärlich zu finden.

Unsere Studie „Potenziale einer Pflege 4.0 – Wie innovative Technologien Entlastung schaffen und die Arbeitszufriedenheit von Pflegefachpersonen in der Langzeitpflege verändern“ will diese Wissenslücke schließen und die Diskussion über den Technologieeinsatz in der stationären Langzeitpflege auf konkrete Nutzenpotenziale lenken.

Anhand von sieben Fallstudien im In- und Ausland hat das Institut für Innovation und Technik in unserem Auftrag ermittelt, welche Be- und Entlastungseffekte für Pflegefachpersonen durch den Einsatz einer Vielzahl an Pflegetechnologien entstehen können, was daraus für die Pflegequalität folgt und welche Effekte sich dadurch für Deutschland insgesamt ergeben könnten. Dabei wird deutlich: Wirkungsvoll eingesetzte Pflegetechnologien erhöhen nicht nur die Arbeitszufriedenheit Pflegender, sondern auch die Qualität der pflegerischen Versorgung und die Patientensicherheit.

Innovative Pflegetechnologien können vielfältig Entlastung schaffen

Die mobile digitale Dokumentation beispielsweise integriert das Dokumentieren stärker in den Pflegeprozess, reduziert dadurch Workflow-Unterbrechungen und spart Zeit. Die Verfügbarkeit pflegerelevanter Informationen an einem Ort verbessert den Informationsaustausch im Team sowie mit anderen relevanten Berufsgruppen und fördert das wissensbasierte Handeln auf Grundlage aggregierter Daten. Der ganzheitlichere Blick auf die Pflegeempfangenden und das bessere Monitoring pflegerischer Maßnahmen erhöhen darüber hinaus die Pflegequalität sowie die Patientensicherheit.

Sensorsysteme – z.B. intelligente Böden, Inkontinenzmaterialien oder GPS-basierte Warnsysteme – verringern physische und psychische Belastungen Pflegender deutlich, da sie bei auffälligen Verhaltensmustern Alarmsignale senden. Dadurch erhöht sich das Sicherheitsgefühl, wird schweres Heben durch weniger Sturzunfälle verringert und tritt anlassbezogenes Handeln an die Stelle von wiederholten Routinegängen.

Auch der Einsatz eines Kommunikationsroboters zeigt, dass die Pflegefachkraft dadurch mehr Informationen und ein ganzheitlicheres Bild von den Pflegeempfangenden erhält. Darüber hinaus sind die Pflegebedürftigen tagsüber aktiver und schlafen weniger, sodass sich der Nachtschlaf verbessert und die sonst benötigte Schlafmedikation reduziert werden kann.

Innovative Pflegetechnologien wirksam und in der Fläche erfolgreich machen

Klar ist aber auch: Die Entlastungspotenziale ergeben sich in den wenigsten Fällen nur aus den Technologien selbst. Vielmehr ist ein gelungenes Zusammenspiel aus Technik, partizipativer Einbindung der Pflegenden in den Auswahl- und Einführungsprozess, angepassten Arbeitsstrukturen sowie dem nötigen Know-how erforderlich.

Um in Deutschland einen wirkungsvollen Technologieeinsatz in der stationären Langzeitpflege auf noch breiterer Basis als bisher zu erzielen, sollten erstens auf regionaler und überregionaler Ebene Netzwerke für den Austausch zwischen Pflegepraxis, Herstellern und der Forschung geschaffen bzw. noch stärker gefördert werden. Da Pflegeeinrichtungen hinsichtlich des Technologieeinsatzes sehr unterschiedliche Entwicklungsstände aufweisen, bedarf es zweitens einer niedrigschwelligen und an den Bedürfnissen der Pflegepraxis orientierten Innovationsförderung, die neben der Technik auch Anpassungen der Arbeitsorganisation bzw. -strukturen berücksichtigt und in einem ganzheitlichen Sinne sozio-technisch innovative Pflegesettings stärkt. Um erfolgreiche Ansätze zu verstetigen, braucht es schließlich nachhaltige Finanzierungsformen, die die Refinanzierung einer Pflege 4.0 innerhalb der Regelstrukturen verlässlich und dauerhaft sicherstellen.