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"Es fehlt in allem an Interoperabilität und Patienteneinbeziehung"

  • Digitalisierung
"Es fehlt in allem an Interoperabilität und Patienteneinbeziehung"
© (c)2018 Thomas Rafalzyk

1.624 Kliniken – und somit 91 Prozent aller Plankrankenhäuser – haben am Digitalradar teilgenommen und ihren digitalen Reifegrad auf den Prüfstand gestellt. Inzwischen stehen die Ergebnisse der Erhebung fest. Die Ergebnisse sind vielschichtig, einige Bereiche sind kritisch, sagt Prof. Dr. Sylvia Thun, Leiterin des Konsortiums Digitalradar Krankenhaus.

Frau Thun, was sind die wichtigsten Ergebnisse des Digitalradars? 

Die Ergebnisse des Digitalradars sind vielschichtig. Grundsätzlich lässt sich feststellen: Es fehlt in allem an Interoperabilität und Patienteneinbeziehung. Das heißt, die Strukturen und Systeme sind gut ausgeprägt, aber nicht ausreichend miteinander verbunden. Auch in diesen Bereichen fehlen interoperable Standards, die in den nächsten Jahren genutzt werden müssen und damit den Standard zum Informationsfluss auf eine höhere Ebene heben sollen. Zusätzlich zeigen die Ergebnisse neue Benchmark Möglichkeiten. Für uns ist beispielsweise interessant, dass im Schnitt die deutschen Krankenhäuser 1.385 Euro für Bruttolohnkosten im Rahmen der Vollzeit-IT pro Bett ausgeben und dass der Anteil der jährlichen Betriebskosten für IT-Ausgaben im Durchschnitt bei 2,4 Prozent liegt.

In welchen Dimensionen liegen die Kliniken vorn, wo hakt es? 

Die Dimension „Strukturen und Systeme“ ist digital gut abgebildet, aber arbeiten noch nicht miteinander. Die Dimensionen „Telehealth“ und „Patientenpartizipation“ sind sehr schlecht abgebildet.

Wie digital ist die Krankenhauslandschaft aufgestellt und welche Regionen stechen hervor, welche sind eher schwach aufgestellt? 

Die Aufteilung nach Bundesländern zeigt, dass die Stadtstaaten wie Berlin und Hamburg deutlich besser abschneiden als andere Bundesländer – aber auch Bundesländer wie Brandenburg, Sachsen und Nordrhein-Westfalen sind über dem Bundesdurchschnitt. Spannend in diesem Zusammenhang ist auch, dass 56 Prozent der deutschen Krankenhäuser eine Datenübertragungsrate von weniger als 500 Mbit/s haben. 

Gibt es Gewinner oder Verlierer? Und was bedeutet das für regionale Versorgungsstrukturen und die Patientenversorgung?

Beim Digitalradar ging es nicht um einen Wettkampf, sondern um die Transparenz, wo genau offene Flanken im Bereich der Digitalisierung der Krankenhäuser sind. Digitalisierung soll so gelebt werden, sodass sie die digitalen Systeme und Strukturen für die Behandlung der Patient:innen effizient unterstützt, gleichzeitig die Ärzt:innen sowie Pflegenden entlastet und alle notwendigen Informationen vorliegen, um die richtigen Entscheidungen zu treffen. Die Vergleiche können für die Krankenhäuser auf unterschiedlichen Ebenen aufgestellt werden, zum Beispiel auf Träger- oder Bettenklassen. Der Digitalradar ist ein umfangreiches Messinstrument. Deutschland leistet damit Pionierarbeit. Kein Land der Welt hat diesbezüglich eine ähnlich umfassende Datenbasis in Hinblick auf den Digitalisierungsgrad seiner Krankenhauslandschaft. Die Ergebnisse geben Anhaltspunkte für die zu erarbeitende Digitalstrategie des Gesundheitswesens und weisen die offenen Handlungsfelder aus. Grundsätzlich zeigt das Modell, welche Bereiche kritisch sind. Die Bedeutung wird vor allem durch die zukünftige Strategie auf der regulierenden und leistungserbringenden Ebene zugewiesen. Das kann durchaus helfen, den weiteren digitalen Weg zu bestimmen.

Was bekommen die Kliniken jetzt an die Hand, um ihren Digitalisierungsstand voranzutreiben – neben den gesetzlichen Vorgaben? 

Die Krankenhäuser haben ein individuelles Dashboard, auf dem sie die Ergebnisse des Digitalradar sowohl auf der Ebene der Dimensionen als auch in den jeweils dazugehörenden Subdimensionen sehen können. Des Weiteren geben sie einen strukturierten und individuellen Überblick zum Stand der Digitalisierung nach Fördertatbeständen und Prozessen im klinischen Alltag und einen internationalen Vergleich anhand des EMRAM-Indikators. Gleichzeitig ermöglichen die individuellen Ergebnisberichte eine differenzierte Betrachtung des aktuellen Status quo in grafischer und tabellarischer Form und ermöglichen den anonymisierten Vergleich mit anderen Gruppen (Peers). Dazu werden Auswahlfilter für Bundesland, Trägerschaft, Größenklasse und Bettenzahl zu Verfügung gestellt.

Was passiert jetzt mit den Daten und welche Aufgaben ergeben sich für das Konsortium, die Politik und die Krankenhäuser? 

Aus den Ergebnissen konnten wir herauslesen, welche Ressourcen und Voraussetzungen für die Implementierung neuer (digitaler) Anwendungen und Prozesse benötigt werden. Mit Abschluss der ersten Datenerhebung und -analyse wird das Konsortium Digitalradar mit der Evaluation des Erhebungsinstrumentes und den dazugehörigen Prozessen beginnen. Dazu werden sowohl die Ergebnisse aus der Begleitevaluation als auch die strukturierte Dokumentation des Supportteams genutzt. Im nächsten Schritt wird die zweite Messung vorbereitet. Das Konsortium wird sich in erster Linie um die Evaluation des Instrumentes und des Erhebungsprozesses sowie die Umsetzung der eruierten Verbesserungsansätze kümmern. Ziel ist es, ein für die zweite Datenerhebung selektiv adaptiertes Erhebungsinstrument zu entwickeln, dessen Ergebnisse eine sehr hohe Vergleichbarkeit mit jenen der ersten Datenerhebung zulassen. Der Großteil der anschließend Befragten empfindet die zur Verfügung gestellten Online-Dashboards laut unserer Begleitevaluation als hilfreich.

Wie geht es weiter? Wann startet die zweite Evaluation? 

Das Bundesgesundheitsministerium möchte aus der Evaluation Erkenntnisse gewinnen, um weitere Maßnahmen anzustoßen. Die Erhebung soll beispielsweise auch in die Digitalstrategie des Bundesgesundheitsministeriums mit eingearbeitet werden. Wann die zweite Evaluation startet, ist derzeit nicht bekannt. Sobald das Konsortium vom Bundesgesundheitsministerium darüber informiert wurde, wird dies auch an die Teilnehmenden über alle Kanäle kommuniziert. Fest steht – laut Gesetz – dass der nächste Messzeitraum der 30. Juni 2023 sein wird. Das ist ein sehr früher Zeitpunkt, denn bis jetzt sind noch nicht alle Förderbescheide da und die Hersteller können nicht liefern, wie sie möchten. Aber: Die Veränderung des Scores kann auch dann schon gemessen werden. Und auch eine dritte Erhebung wird von uns angestrebt, denn sie ist aus unserer Sicht sinnvoll. Aber es ist so, dass das Konsortium einen klaren Auftrag hat und wir dahingehend agieren werden.

Ergebnisse der Evaluation

  • Von den 1.624 befragten Krankenhäusern sind 33,7 Prozent in öffentlicher, 37,4 Prozent in freigemeinnütziger und 28,9 Prozent in privater Trägerschaft. Der Digitalradar-Score (DR-Score) liegt durchschnittlich bei 33 von 100 möglichen Punkten
  • Die Mehrheit der Häuser (70 Prozent) verzeichnet einen DR-Score zwischen 23 und 44 Punkten. 
  • Öffentliche Krankenhäuser schneiden am besten ab, gefolgt von privaten und freigemeinnützigen. Lediglich bei „Patientenpartizipation“ und „Organisatorische Steuerung und Datenmanagement“ erreichten die privaten Krankenhäuser höhere DR-Scores. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass eine zentrale Organisation, wie sie bei Krankenhausketten und -verbünden erfolgt, in diesen Dimensionen den höchsten Mehrwert hat. 
  • Am weitesten digitalisiert sind Krankenhäuser in Berlin, Hamburg und Brandenburg
  • Die höchsten Werte erreichten die Krankenhäuser im Durchschnitt in der Dimension „Strukturen und Systeme“, den niedrigsten verzeichneten sie bei den Themen „Patientenpartizipation“ und „Telehealth“.
  • Mit Blick auf die Krankenhausgröße ist zu sehen, dass die größeren Häuser auch innerhalb der Dimensionen besser abschneiden als kleinere. Mit steigender Bettenklasse steigt der DR-Score. Grundversorger weisen mit 30,2 Punkten die niedrigste, Maximalversorger mit 41,1 Punkten die höchste digitale Reife auf. 
  • Im Bereich "Telehealth" sowie "Resilienz-Management & Performanz" schneiden die reinen PEPP-Einrichtungen besser ab als die DRG-Einrichtungen.
  • Die Bruttolohnkosten Vollzeit-IT je Bett sind mit Abstand bei den Maximalversorgern am höchsten und bei den Regelversorgern am niedrigsten. Der Anteil der Krankenhäuser mit einer niedrigeren Bandbreite sinkt mit zunehmender Bettenklasse.
  • In öffentlichen Krankenhäuser sind die Bruttolohnkosten Vollzeit-IT pro Bett am höchsten, gleichzeitig ist der Anteil der jährlichen Betriebskosten für IT am geringsten. Mehr als die Hälfte der freigemeinnützigen und privaten Krankenhäuser verfügen über eine Datenübertragungsrate von weniger als 500 Mbit/s.
  • Eine Varianzanalyse zeigte, dass die wichtigsten Prädiktoren für den DR-Score Bettenklasse, Breitbandausbau, der Status als Lehrkrankenhaus, die Anzahl der mobilen Workstations pro Mitarbeiter:in und die Notfallstufe sind. 
  • Die meisten Krankenhäuser haben Fördermittel in den Fördertatbeständen „Digitale Pflege- und Behandlungsdokumentation“, „Patientenportale“ und „Digitales Medikationsmanagement“ beantragt.  Damit scheinen sie bereits einige Defizite – vor allem bei der Patientenpartizipation – erkannt zu haben.

Autor

 Anika Pfeiffer

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