MEINUNG

Kampf um Krankenhausreform geht 2024 in die nächste Runde: Politikwissenschaftler erklärt den „Grundkonflikt“, der uns lähmt

Christian Beneker

Interessenkonflikte

20. Dezember 2023

Dr. Marin Florack

Die Auseinandersetzung zwischen den Befürwortern und Gegnern der Krankenhausreform von Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach (SPD) ist mit dem Einspruch des Bundesrates gegen das Transparenzgesetz in die nächste Runde gegangen. Vertreter der Krankenhäuser und viele Landräte fürchten z.B., dass die Krankenhausreform wesentliche Nachteile etwa für viele kleinere Häuser bedeuten wird. Wie sieht ein Politikwissenschaftler das Ringen um den richtigen Weg in der Krankenhauspolitik? Medscape sprach mit dem Oberhauser Politikwissenschaftler und Leiter des in Gründung befindlichen „Wissenschaftscampus NRW“, Dr. Marin Florack.

Medscape: Herr Dr. Florack, wie betrachten Sie den Konflikt über die Zukunft der Krankenhäuser?

Dr. Florack: Wir erleben den Grundkonflikt zwischen dem Entscheidungswillen der Politik und den Beharrungskräften der Bevölkerung. Der Status Quo ist nicht begründungspflichtig, die Krankenhausversorgung, wie sie jetzt ist, scheint uns normal. Stehen aber Änderungen ins Haus, regt sich Ärger und Widerstand, besonders, wenn auch Werte-Fragen betroffen sind. Dieser Effekt zieht sich durch alle Politikfelder. Das muss und wird jeder politische Akteur wissen.

 
Wir erleben den Grundkonflikt zwischen dem Entscheidungswillen der Politik und den Beharrungskräften der Bevölkerung. Dr. Marin Florack
 

Medscape: Land auf, Land ab finden sich zornige Bürgerinnen und Bürger zusammen, um etwa gegen die Schließung kleiner Krankenhäuser zu protestieren. Wo sollte da ein Problem liegen? Ist da nicht im besten Sinne die Demokratie bei der Arbeit zu besichtigen?

Dr. Florack: Der Demokratiebegriff selbst ist vielschichtig. Es gibt viele Verständnisse von Demokratie, die in den Protesten immer mitverhandelt werden. Was wir derzeit an Widerstand gegen die Krankenhausreform erleben, ist ja vor allem verbandlich organisiert. Da stellt sich die Frage der Legitimation. Welche Interessen sind hier am Werk, sind andere Interessen auch repräsentiert?

 
Wir erleben den Grundkonflikt zwischen dem Entscheidungswillen der Politik und den Beharrungskräften der Bevölkerung. Dr. Marin Florack
 

Grundsätzlich ist Widerstad leichter zu organisieren als für etwas zu streiten. Darum müssen wir fragen: Welche Argumente werden aus welcher Interessenlage heraus vorgebracht? Gibt es wichtige Interessen, die in der Diskussion keine Rolle spielen? Und was sind politische Ziele, die sich mit der Reform verbinden? Das sind zentrale Fragen, vor der die politischen Akteure stehen.

Medscape: Ganz konkret: Wie soll Politik auf diese vielen Fragen eine Antwort finden?

Dr. Florack: Wichtig ist es, zu einer tragfähigen politischen Lageeinschätzung über Chancen und Risiken zu kommen. Angesichts der sowieso schon vorhandenen fachlichen Komplexität des Themas sollte man sich nicht durch unerwartete Interessen und Allianzen überraschen lassen.

Außerdem brauchen Sie selbst Verbündete, die Ihnen zur Seite stehen und deren Ressourcen Sie in die Diskussion einbringen können. Und schließlich müssen Sie im korporatistisch durchdrungenen Gesundheitssystem zu Kompromissen fähig und willens sein. Hier begegnen sich alle Akteure ja nicht nur zweimal, sondern immer und immer wieder.

Medscape: Warum ist der Streit um die Krankenhausreform so emotional?

Dr. Florack: Durch die Corona-Jahre wurde die Wahrnehmung der Bevölkerung in Gesundheitsfragen noch einmal neu geprägt. Da wurde im Land 3 Jahre lang darüber diskutiert, dass das deutsche Gesundheitssystem an seine Grenzen kommt. Zugleich wuchs die Angst, selbst mit Corona infiziert zu werden.

Ich glaube, wäre in den Corona-Jahren nicht die Sorgen um die eigene Gesundheit so stark gewesen und die Sorge um die Zukunft des Gesundheitssystems, so würden wir heute ganz sicher anders über die Krankenhausreform diskutieren. Die Frage, ob es im Notfall genug Krankenhausbetten gibt, wäre vor Corona sicherlich mit einer ganz anderen Resonanz erörtert worden. Die Folgen der Pandemie spielen heute ganz extrem in die allgemeine Aufgeregtheit über die Krankenhausreform hinein.

 
Die Folgen der Pandemie spielen heute ganz extrem in die allgemeine Aufgeregtheit über die Krankenhausreform hinein. Dr. Marin Florack
 

Medscape: Im Gesundheitssystem sind die Lobbygruppen gut organisiert, sie agieren bis hin zur Blockade …

Florack: Es bleibt die Gretchenfrage der Politik: Warum setzen sich nicht automatisch die besten Lösungen durch? Die Antwort ist klar: Politik preist auch immer die Machtfrage mit in ihre Entscheidungen ein. Jeder, der sich in die Debatte einbringt, weiß um die komplexe Lage, die vielen Spieler im System und um ihre Fähigkeit, Widerstand zu organisieren. Da fragt sich jeder Gesundheitspolitiker ganz genau, wo er sich eine blutige Nase holt und wo nicht.

Medscape: Werden sich die Kontrahenten zusammenraufen oder wird die Reform im Klein-Klein scheitern?

Dr. Florack: Der Wandel kommt, die Frage ist nur, wie. Entweder durch externen Druck, wie bei der Corona-Pandemie. Da wurden Dinge möglich, die zuvor unmöglich schienen. Oder er kommt durch das politische Handwerk der Kompromissbildung. Dieser Weg verhindert aber große, plötzliche Veränderungen. Hinzu kommt eine gewisse Unübersichtlichkeit. Da dreht der Gesetzgeber an einem kleinen Schräubchen. Und wie beim Schmetterlingseffekt können auch nichtintendierte Folgen enorm sein.

Medscape: Wie agieren Ärztinnen und Ärzte in dem Prozess der Wandlung der Kliniklandschaft?

Dr. Florack: Ärztinnen und Ärzte sind nicht nur gut organisiert, sondern auch sprachfähig. Die Diskussion um die Kliniken wird neben den einschlägigen Verbänden ja auch durch die Niedergelassenen in die Bevölkerung getragen, z.B. mit Wartezimmerplakaten oder über die direkte Ansprache der Patienten. Damit stellen sie für die Politik einen Aspekt der öffentlichen Kommunikation dar, den sie nicht kontrollieren kann. Sie spielen ihr eigenes Spiel und sind nicht so leicht von Verbänden oder Kammern einzuhegen.

Medscape: Viele Ärztinnen und Ärzte arbeiten mit vollen Wartezimmern, ohne noch Zeit zu finden für die Gesundheitspolitik. Wie kann man sie in den Entscheidungsprozess bei der Reform mitnehmen?

Florack: Das sollte Aufgabe und Interesse der professionellen Selbstverwaltung sein. Wer politisch mitspielen möchte, ist gefordert, sich auch selbst entsprechend zu organisieren.

 

Kommentar

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