Es könnte an einen Elternabend erinnern, was da Mitte März passieren wird. 19 Frauen und Männer werden dann mehr oder weniger motiviert zusammensitzen. Sie müssen jemanden wählen, der sie vertreten wird. Der eine oder andere wird sich in dem Moment womöglich intensiv seinem Smartphone widmen oder angestrengt zu Boden schauen, denn: Besonders beliebt kann der Job nicht sein, der da zu vergeben ist. Die Erfahrungen der Corona-Pandemie haben deutlich gemacht, wie anstrengend es sein kann, Vorsitzender der Ständigen Impfkommission (Stiko) zu sein, wie viel Arbeit und Stress mit der Aufgabe verbunden sein kann.  

Denn um diesen Job wird es bald gehen. Wenn die 19 neu berufenen Mitglieder der Stiko erstmals zusammentreten – unter anderem um aus ihrer Mitte einen Vorsitzenden oder eine Vorsitzende zu wählen. Wer diese 19 Frauen und Männer sind, hat das Bundesgesundheitsministerium am Montag bekannt gegeben. Nur fünf von ihnen waren schon zuvor Mitglied der Stiko, die anderen 14 sind allesamt neu. Es könnte sich also einiges ändern mit dieser neuen Konstellation. Warum all das wichtig ist?  

Weil die Stiko mit ihren Impfempfehlungen einen extrem großen Einfluss auf die Prävention von Krankheiten in Deutschland hat. Viele Mediziner vertrauen und richten sich nach ihr, vor allem in der Kinderheilkunde. Denn die Empfehlungen der Stiko betreffen häufig Impfungen für Säuglinge und Kinder. Nach ihrem Impfkalender richten sich die meisten Kinderärzte und immunisieren ihre kleinen Patienten bei den regelmäßigen Vorsorgeuntersuchungen gegen etwa Masern, Mumps und Tetanus. Aber auch für Erwachsene spielt die Stiko eine wichtige Rolle. Sie empfiehlt etwa, welche Personengruppen sich gegen die Grippe impfen lassen sollten oder wer wirklich eine Immunisierung gegen FSME bekommen sollte, eine schwere Erkrankung des Gehirns, die durch Zecken übertragen wird. Und wenn die Stiko etwas empfiehlt, dann bezahlen die Krankenkassen diese Impfungen in der Regel auch. 

Eine Kommunikationswissenschaftlerin unter Virologen

Wenn die Stiko in ihrer neuen Konstellation nun andere Prioritäten setzt als das vorherige Gremium, dann betrifft das also viele Menschen in Deutschland. Es geht zum Beispiel darum, ob die Grippeimpfung – anders als bisher – auch für Kinder empfohlen wird. Oder ob die Stiko zukünftig Immunisierungen empfehlen solle, die Säuglinge vor einer RSV-Infektion schützen – einer Erkrankung, die für kleine Kinder sehr gefährlich sein kann und wegen der gerade wieder viele Säuglinge auf Intensivstationen liegen. 

All diese Vorhaben stehen jetzt zur Diskussion. ZEIT ONLINE hat mit mehreren der aktuellen Mitglieder darüber gesprochen, ob und wie sie diese Themen angehen wollen. Man werde sich natürlich bemühen, Kontinuität zu wahren, sagt Klaus Überla. "Aber da kann man der neuen Stiko in keinster Weise vorgreifen". Überla ist Direktor des Virologischen Institut am Uniklinikum Erlangen und seit 2017 Mitglied der Stiko, er wurde jetzt wieder berufen. Überla gehört damit einer Minderheit an, er ist einer der fünf Mitglieder in der neuen Stiko, die schon zuvor dabei waren.  

Im Gespräch wirkt er sehr gelassen. Er kennt die neuen Mitglieder noch nicht persönlich, trotzdem hat man das Gefühl, dass er sich auf das freut, was da womöglich an Neuem in die Stiko getragen wird. Mit Constanze Rossmann von der Ludwig-Maximilians-Universität in München ist zum Beispiel erstmals eine Kommunikationswissenschaftlerin dabei. Überla findet das gut, denn es sei ja auch wichtig, wie man getroffene Entscheidungen der Stiko für Impfempfehlungen am besten kommuniziere, sagt er, "und da kann uns die Expertise einer Kommunikationswissenschaftlerin natürlich substanziell helfen".  

Wird die Grippeimpfung künftig auch für Kinder empfohlen?

Neu ist auch, dass die Stiko nun weniger Experten für Kindermedizin hat, nämlich nur noch zwei statt zuvor vier. Man kann nur spekulieren, welche Auswirkungen das auf Entscheidungen hat. Bislang war es zumindest so, dass die Stiko eher zurückhaltend agierte. Kindermediziner sind das generell. Weil Kinder keine kleinen Erwachsenen sind und Nebenwirkungen von Medikamenten oder eben Impfungen bei ihnen andere und langfristigere Auswirkungen haben können, auch negative, vertrauen Pädiater eher Verfahren und Mitteln, die schon lange erprobt sind. Neue Impfungen betrachten sie deswegen immer erst mal besonders vorsichtig. 

Die alte Stiko mit ihren vier Experten für Kindermedizin sprach in der Corona-Pandemie Impfempfehlungen für Kinder und Jugendliche nur sehr beschränkt aus und ließ sich damit lange Zeit. Das brachte ihr viel Kritik ein, gerade aus der Politik, geschah aber vor allem deswegen, weil sie erst einmal Studiendaten und Erfahrungen aus anderen Ländern abwarten wollte, bis sie Kindern und Jugendlichen eine Impfung empfahl, die ihnen einen nur vergleichsweise geringen Nutzen brachte.  

Zwei derartige Entscheidungen stehen demnächst an: Soll es eine Empfehlung geben, Kinder gegen die Grippe zu impfen? Und auch zu verschiedenen Wegen, Kinder per Immunisierung vor RSV-Infektionen zu schützen, soll das Gremium entscheiden. Zumindest bei der Grippeimpfung hätte man in der alten Konstellation vermutet, dass sich die Stiko eher nicht für eine Empfehlung für Kinder ausspricht – zu ungewiss ist der Nutzen für die Kinder selbst. Allerdings könnten Erwachsene davon profitieren, wenn die Kinder geimpft sind und das Grippevirus nicht mehr weiterverbreiten. Abzuwarten bleibt, ob die Stiko in der neuen Zusammensetzung möglicherweise anders gewichtet, mehr im Sinne der Erwachsenen.